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26. November 2019, von Michael Schöfer
Wie würden wir dieses Verhalten 1945 bewerten?


Nehmen wir an, wir schreiben das Jahr 1933. Rein hypothetisch. In Deutschland gibt es bereits zahlreiche Konzentrationslager, in denen Menschen massenhaft rechtswidrig interniert, gefoltert und ermordet werden. Was es noch nicht gibt, sind die späteren Vernichtungslager wie Auschwitz. Europäische Firmen investieren trotzdem im totalitären Nazi-Reich, denn offiziell wollen sie von den Konzentrationslagern keine Kenntnis haben. Sie verhalten sich wie die drei Affen: nichts sehen, nichts hören und nichts sagen! Vor allem nichts sagen, denn man könnte sich ja durch unbedachte Äußerungen das Geschäft verderben. Die Schweizer Bundesregierung zeigt sich zwar über die Berichte, die das Lagersystem enthüllen, "in höchster Weise besorgt", will aber dennoch die Investitionen in Deutschland nicht hinterfragen. Das sei "zunächst einmal eine unternehmerische Entscheidung", sagt Regierungssprecher Zwingli. "Ich habe heute hier von dieser Stelle den Schweizer Unternehmen keinen Ratschlag zu geben."

Und jetzt die Preisfrage: Wie würden wir dieses Verhalten 1945 bewerten? So wie wir es heute mit den Umerziehungslagern in der chinesischen Provinz Xinjiang tun? Oder würden wir es verurteilen? (Kleiner Hinweis: Die Schweiz musste laut Washingtoner Abkommen von 1946 Strafzahlungen für ihre Geschäfte mit dem Dritten Reich leisten. Nachträglich wurden diese Geschäfte nämlich als unmoralisch bewertet.)