Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



20. November 2019, von Michael Schöfer
Welches Recht gilt?


Die Erfindung des Internet ist mit der Erfindung der Atombombe vergleichbar: Die Welt wird nie wieder so sein wie zuvor, und den Geist bekommen wir nie wieder in die Flasche zurück (selbst wenn wir wollten). Nun ist das Internet zum Glück nicht so destruktiv wie die Atombombe, trotzdem macht uns die dortige Hetze schwer zu schaffen. Doch wir suchen noch nach wirksamen Gegenstrategien. Ich fürchte allerdings, dass manche Vorschläge unzureichend durchdacht sind. Ein Beispiel: Die Antisemitismus-Beauftragten von Bund und Ländern "wünschen sich eine Pflicht für Digitalkonzerne, Staatsanwälten die Klarnamen und IP-Adressen ihrer Nutzer offenzulegen. Bisher würden viele Betreiber die Herausgabe der Daten verweigern, weil sie ihren Sitz im Ausland haben und dort andere Gesetze gelten (...). Künftig müsse das Marktort-Prinzip gelten: Es sollten die Regeln desjenigen Landes gelten, in dem die Menschen das Angebot nutzen." (Süddeutsche)

Klingt oberflächlich betrachtet gut, aber welche Konsequenzen hätte das? Wenn ich den chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping wegen den Umerziehungslagern in der Provinz Xinjiang hart kritisiere, müssen dann soziale Netzwerke meine Daten an die Machthaber in Peking herausgeben? Schließlich wollen die Antisemitismus-Beauftragten, dass künftig "die Regeln desjenigen Landes gelten, in dem die Menschen das Angebot nutzen". In diesem Fall möglicherweise auch China (meine Leserschaft in der Volksrepublik wird für gewöhnlich unterschätzt). Wenn ich mich über Recep Tayyip Erdogan lustig mache (allerdings nicht so krass wie Jan Böhmermann), werde ich dann in der Türkei zu Recht wegen Beleidigung des Staatspräsidenten angeklagt? Die Antisemitismus-Beauftragten sagen ja, in diesem Fall müssten die - rechtsstaatswidrigen - Regeln der Türkei gelten.

Das Internet heißt nicht umsonst "World Wide Web". Es ist überall abrufbar, die Wirkung demzufolge gar nicht einzugrenzen. 193 Staaten sind Mitglied der Vereinten Nationen. Welches Recht gilt dann für einen Post, den ich in Deutschland ins Netz setze? Das meines Heimatlandes, in dem Meinungsfreiheit herrscht, oder das von Nordkorea, in dem der kleinste Widerspruch automatisch Lebensgefahr bedeutet? Und muss ich in Zukunft bei jedem Auslandsaufenthalt meine Auslieferung befürchten? Die Forderung der Antisemitismus-Beauftragten ist wirklich nicht zu Ende gedacht. Nur wenn ich gegen deutsche Gesetze verstoße, den Post aber auch hier in Deutschland ins Netz gestellt habe, macht die Pflicht zur Herausgabe von Daten Sinn.