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03. November 2019, von Michael Schöfer
Wenn wir die Welt gerechter machen


Demonstrationen, Ausschreitungen, Übergriffe der Staatsgewalt, Sitzblockaden, Steinewerfer, Brandsätze, Tränengas, Gummigeschosse, Wasserwerfer - die Nachrichten sind derzeit voll davon. Sie berichten aus Ecuador, Argentinien, Chile, Irak, Venezuela, Libanon, Hongkong, Barcelona - bloß um einige davon zu nennen. So verschieden die Länder und deren Bevölkerung auch sein mögen, es gibt kulturübergreifend durchaus Gemeinsamkeiten: Korruption und Vetternwirtschaft, eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, politische Unterdrückung, Wohnungsnot, hohe Arbeitslosigkeit, marode Infrastruktur, Perspektivlosigkeit, Kriminalität. Obszöne Zurschaustellung von Luxus auf der einen, frühkapitalistische Ausbeutung auf der anderen Seite.

Daraus folgt fast zwangsläufig die Erkenntnis: In Wahrheit gibt es keinen Konflikt zwischen Ost und West, Nord und Süd, bestimmten Ethnien oder den Religionsgemeinschaften. In Wahrheit dreht sich meist alles um die Auseinandersetzung zwischen denen da oben und jenen dort unten. Ist nicht die Interessenlage eines Multimilliardärs in China weitgehend identisch mit der eines Multimilliardärs in Brasilien? Und sind nicht spiegelbildlich die Interessen eines chinesischen Wanderarbeiters in Peking und die eines Tagelöhners in einer Favela von Rio de Janeiro ebenfalls miteinander vergleichbar? Die einen bekommen den Hals nicht voll, während die anderen mühselig ums Überleben kämpfen.

Alles andere ist bloß künstlich errichtete Fassade, die den eigentlichen Konflikt überdecken soll. Viele lassen sich jedoch bereitwillig für einen Scheinkonflikt instrumentalisieren und ignorieren den eigentlichen Kern den Problems. Wenn wir die Welt gerechter machen, werden sich die meisten Probleme in Wohlgefallen auflösen. Wenn wir die Welt jedoch weiterhin zugrunde richten, wird sie uns unweigerlich um die Ohren fliegen.