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25. Oktober 2019, von Michael Schöfer
Von wegen: One man, one vote


Die Demokratie lebt zu einem Gutteil von Illusionen. Jeder hat bloß eine Stimme, beispielsweise. Das soll Gleichheit bei der Einflussnahme auf politische Entscheidungen suggerieren. Doch nichts könnte falscher sein, viel wichtiger als Wahlstimmen ist nämlich die Einflussnahme durch die Hintertür. "Die fünf größten Erdölkonzerne oder Branchenverbände haben einer Untersuchung zufolge seit 2010 mehr als 250 Millionen Euro für Lobbyarbeit bei der Europäischen Union ausgegeben", schrieb der Standard gestern auf seiner Website. "Erdöl- und Erdgas-Branchenverbände hätten zwischen 2010 und 2018 weitere 128 Millionen Euro ausgegeben." Seit 2014 soll es mindestens 327 Treffen von Erdöl-Lobbyisten mit Vertretern der EU-Kommission gegeben haben. Rechnerisch 1,26 Treffen jede Woche. Wer kann sich die Bezahlung von Lobbyisten leisten? Wer kann sich so Zugang zu Vertretern der EU-Kommission verschaffen? Der Normalbürger jedenfalls nicht. Und Lobbyarbeit findet nicht bloß in Brüssel statt, sondern in jeder Hauptstadt. Ich will nicht so weit gehen zu behaupten, dass Politiker käuflich sind. Aber sie gewähren Zugang - wenn man dafür das notwendige Kleingeld hat. Und Zugang bedeutet Einfluss. Von wegen: One man, one vote.