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20. Oktober 2019, von Michael Schöfer
Genial wie der britische Premier Boris Johnson


Genie und Wahnsinn liegen bekanntlich nah beieinander. Nein, es geht hier ausnahmsweise einmal nicht um Donald Trump, weil sich bei ihm die Waagschale unverkennbar in Richtung Wahnsinn neigt. Es ist vielmehr genial von Boris Johnson, gleich zwei Briefe nach Brüssel zu schicken. Einen, in dem er die EU pflichtschuldig um eine weitere Verschiebung des Brexit bittet. Und einen zweiten, in dem er bekundet, von einer Verschiebung in Wahrheit rein gar nichts zu halten. Man stelle sich vor, dieser Kniff würde üblich: Heiratsantrag an die Freundin? Nicht ohne einen Brief an die Schwiegermutter in spe, in dem man frank und frei bekundet, dass man im Grunde eine andere liebt (die hübsche Nachbarstochter von gegenüber). Hätte bestimmt durchschlagenden Erfolg, sprich man spart mit einem Schlag die horrenden Kosten fürs Brautkleid. Oder beim Juwelier: Mit gespielter Nonchalance, man ist schließlich wer, die Sammleruhr für schlappe 22.450 Euro bestellen. Und anschließend einen Brief hinschicken, in dem man bekundet, man habe nach reiflicher Überlegung und einem ernüchternden Blick auf den Gehaltszettel festgestellt, dass man die bestellte Uhr eigentlich von Anfang an ziemlich hässlich fand. Pacta sunt servanda (Verträge sind einzuhalten)? Ich empfehle deshalb, jedes Mal zwei Verträge abzuschließen. Und zwar solche, die sich widersprechen. In diesem Fall wird man keinesfalls wortbrüchig, bekommt aber trotzdem das, wonach einem gerade der Sinn steht. Genial, nicht wahr? Genau wie der britische Premier Boris Johnson. Oder vielleicht doch Wahnsinn? Schlag nach bei Donald Trump ("The Art of the Deal"), denn der ist ohne den geringsten Zweifel der beste Dealmaker ever. Jedenfalls nach eigener Einschätzung.