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14. Oktober 2019, von Michael Schöfer
Alles andere wäre Rosinenpickerei


"Stellen Sie sich vor, Syrien oder Alliierte von Syrien schlagen zurück und greifen die Türkei an. Auf Deutsch heißt das, dass alle NATO-Länder, wenn die Türkei angegriffen würde, dann einspringen müssten, um der Türkei zu helfen", warnte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn laut tagesschau.de. Doch tritt der Bündnisfall tatsächlich ein? Das ist fraglich, denn der Nordatlantikvertrag besteht schließlich nicht bloß aus der Beistandspflicht gemäß Artikel 5. In Artikel 1 heißt es nämlich unmissverständlich: "Die Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen, jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, daß der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind."

Da die Türkei sowohl gegen Artikel 1 des Nordatlantikvertrags und zudem gegen die Charta der Vereinten Nationen verstoßen hat (Friedenspflicht), kann demzufolge auch nicht die Beistandspflicht der NATO greifen. Alles andere wäre Rosinenpickerei. Der türkische Einmarsch in Syrien ist völkerrechtswidrig. Und wenn sich andere oder deren Verbündete gemäß Artikel 51 der UN-Charta (individuelle oder kollektive Selbstverteidigung) gegen den Angriff wehren, muss der Angreifer (die Türkei) den von ihm angerichteten Schlamassel alleine ausbaden. Kurzum, Recep Tayyip Erdogan hat die möglichen Konsequenzen für seine Aggression selbst zu tragen.