Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



09. September 2019, von Michael Schöfer
Den Iran aufzufordern, das Atomabkommen einzuhalten, ist grotesk


Wenn der Arbeitgeber kündigt und keinen Lohn mehr zahlt, wäre seine an den Arbeitnehmer gerichtete Forderung, dieser möge weiterhin die geschuldete Arbeitsleistung erbringen, ebenso absurd wie nutzlos. Genau das ist die Situation des Iran nach der Kündigung des Atomabkommens durch die USA. Bundesaußenminister Heiko Maas mahnt: "Alle müssen jetzt verantwortungsbewusst handeln, sonst besteht die Gefahr, dass wir die Ausfahrt zu einer friedlichen Konfliktlösung verpassen." Und er garniert das Ganze mit der Forderung, Teheran solle zur vollen Einhaltung des Atomabkommens zurückkehren. Doch das ist ähnlich absurd wie die eingangs erwähnte Forderung des Arbeitgebers. Die USA sind einseitig raus, und die Europäer können oder wollen ihre wirtschaftlichen Verpflichtungen nicht erfüllen. Die IAEA hat dagegen noch vor kurzem bestätigt, dass sich der Iran strikt an das Atomabkommen gehalten hat. Es ist der Westen, der zuerst davon abgerückt ist. Die USA de jure, die Europäer faktisch. Den Iran aufzufordern, es dennoch einzuhalten, ist grotesk. Verträge, an die eine Seite strikt gebunden sein soll, während die übrigen Vertragspartner nach eigenem Ermessen dagegen verstoßen dürfen, spielen vielleicht in der infantilen Vorstellungswelt Donald Trumps eine Rolle, aber doch nicht in der realen Welt der Diplomatie. Teheran wird nur dann zur vollen Einhaltung des Atomabkommens zurückkehren, wenn auch die anderen Vertragspartner das Atomabkommen wieder einhalten. Alles andere ist dummes Gerede. Verantwortungsbewusst wäre, zum Atomabkommen zurückzukehren und bestehende Differenzen (Raketenprogramm, Unterstützung des Terrorismus, Einflussnahme in der Nahost-Region) separat zu verhandeln. Donald Trumps Alles-oder-nichts-Strategie ist total verantwortungslos und führt bloß in den Krieg.