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06. Februar 2020, von Michael Schöfer
Ein Hauch von Weimar


Klimaschutz sei "eine Sache für Profis", ätzte FDP-Chef Christian Lindner Anfang 2019 in Richtung der demonstrierenden Schüler von Fridays for Future. Doch keineswegs nur Klimaschutz, Politik ist generell etwas für Profis. Aber zumindest eine Partei gehört ganz gewiss nicht mehr zu diesem erlauchten Kreis, wie man spätestens jetzt in Thüringen sieht: die FDP. Die Liberalen agieren dort nämlich genauso wie der Hühner- und Hasenzüchterverein von Hinterdupfing: erschreckend unprofessionell. Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum, ein Relikt der linksliberalen Garde der FDP, hat vollkommen recht: "Ein Hauch von Weimar liegt über der Republik." [1] Und wer ist schuld daran? Die Eintagsfliege Thomas Kemmerich und der angeblich komplett eingebundene "Profi" Christian Lindner. Jedes x-beliebige Schülerparlament hätte die Ministerpräsidentenwahl besser hinbekommen als die Möchtegern-Profis im Thüringer Landtag. Es ist einfach unerträglich.

Weimar ist das passende Stichwort, denn rechte Parteien sind, wie die historische Erfahrung lehrt, nicht einzubinden oder zu kontrollieren. Man muss sie bekämpfen, darf keinesfalls mit ihnen paktieren. Nicht einmal insgeheim, um sich die lukrativen Pöstchen zu sichern. Hat das Bürgertum, und diese Frage muss sich auch Mike Mohring von der CDU gefallen lassen, aus der Geschichte überhaupt nichts gelernt? Offenbar, denn sie lassen sich von der AfD vorführen wie unreife Schulbuben, die noch ein bisschen grün hinter den Ohren sind. Ich bitte um Verzeihung, wenn sich Schulbuben durch diesen Vergleich beleidigt fühlen sollten. Nichts für ungut. Der Wahlslogan des 24-Stunden-Ministerpräsidenten ("Endlich eine Glatze, die in Geschichte aufgepasst hat") ist rückblickend gesehen Satire par excellence. Aber eben nur rückblickend. Doch wer mag heute darüber noch lachen? Niemand. Immerhin: Sich selbst ein Bein zu stellen ist zweifellos eine hohe Kunst, die nicht jeder beherrscht.

Die Demokratie verkommt durch den Dilettantismus der Politstrategen zur Lachplatte. Und wer profitiert? Allem Anschein nach die angesichts des gelungenen Coups feixende AfD. Wenn taktisches Geschick ein Kriterium bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis wäre, dürften die Abgeordneten der thüringischen CDU und FDP bloß Fahrrad fahren. Dümmer geht’s nicht. Es ist unfassbar. Und nun, nach dem von vornherein absehbaren Fiasko, soll es auf Neuwahlen hinauslaufen. Ich wünsche schon mal viel Spaß dabei. Am Wahlabend, davor sei vorsorglich gewarnt, darf sich um 18 Uhr keiner erschrecken. Wie dann die Prognosen im Fernsehen ausfallen, kann man sich bereits jetzt denken. Ein Hauch von Weimar? Wenn es schlecht kommt, leider nicht bloß ein Hauch.

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[1] Deutschlandfunk vom 05.02.2020