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14. März 2020, von Michael Schöfer
Bleib ruhig und mach weiter


Die Lage ist ernst, das öffentliche Leben in Europa wird jetzt sukzessive zurückgefahren. Wir erleben Geschichte. Von der Spanischen Grippe in den Jahren 1918 bis 1920 lasen wir ja bislang nur in den Geschichtsbüchern, die Coronakrise spüren wir nun am eigenen Leib. Zweifellos ein historischer Moment. Doch ganz so schlimm wird es hoffentlich nicht kommen.

Im Vergleich zur Spanischen Grippe, die weltweit zwischen 25 bis 50 Mio. Tote verursachte, ist das Coronavirus nach allem was wir derzeit wissen nicht ganz so gefährlich. Aber die Mortalitätsrate ist hoch genug, um das neue Virus ernst zu nehmen und die restriktiven Maßnahmen zur Verlangsamung seiner Ausbreitung zu rechtfertigen. Dennoch geht es uns vergleichsweise gut. Als die Spanische Grippe zuschlug, ging gerade der Erste Weltkrieg zu Ende, in dem 10 Mio. Soldaten fielen und der unter der Zivilbevölkerung weitere 7 Mio. Tote forderte. Außerdem lag kriegsbedingt die Wirtschaft danieder, obendrein war damals das Gesundheitssystem erheblich weniger leistungsfähig. Hinzu kamen die politischen Umwälzungen. Die Menschen mussten zu Beginn des 20. Jahrhunderts weitere Nackenschläge verkraften, vor allem die verheerenden Wirtschaftskrisen der zwanziger und dreißiger Jahre, die direkt in die Nazi-Diktatur und den Zweiten Weltkrieg mündeten. Internet und Netflix zur Ablenkung? Kannten sie nicht.

Die heutige Wirtschaft kämpft zwar nach wie vor mit den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008, ist aber hoffentlich robust genug, um die vorübergehenden Einschränkungen auszuhalten. Trotzdem werden viele Unternehmen heftig darunter leiden. Vor allem kleine und mittlere Betriebe mit geringen finanziellen Rücklagen müssen wohl oder übel Entlassungen vornehmen, sollte das Herunterdimmen der gesellschaftlichen Tätigkeit längere Zeit andauern. Mir macht vor allem der Zustand der Banken Sorgen. Ob der Finanzsektor die sich abzeichnende Rezession und die damit verbundene Pleitewelle verkraften wird? Der Kollaps des Finanzsystems wäre der Supergau. In solchen Fällen gilt stets: Im Nachhinein sind wir schlauer, erst dann werden wir wissen, ob wir tatsächlich richtig gehandelt haben.

Wie dem auch sei, jedenfalls müssen wir nach der Krise die Art und Weise der Globalisierung gründlich überdenken. Eine vielfach verflochtene Weltwirtschaft ist offenkundig äußerst anfällig für derartige Störungen. Und die werden, Stichwort Erderwärmung, künftig eher noch zunehmen. In einer großen Maschine genügt es schon, wenn irgendwo ein kleines Zahnrad bricht, um sie vollständig lahmzulegen. Dieses Zahnrad heißt "Lieferketten". Steht in China die Produktion still, haben zum Beispiel deutsche Autobauer Probleme, Fahrzeuge herzustellen. Elektrogeräte und Computer ohne Teile aus der Volksrepublik? Gibt's eigentlich gar nicht mehr. Die westlichen Industriegesellschaften haben zwar noch das Know-how, aber nicht mehr die vollständige Kontrolle über die Produktion. Das kostengünstige Auslagern rächt sich nun.

Doch zunächst müssen wir erst einmal die aktuelle Krise bewältigen - alles andere kommt danach. Mir persönlich imponierte schon von jeher die besonnene Haltung der Briten im Zweiten Weltkrieg: "Keep Calm and Carry On" (bleib ruhig und mach weiter). Hoffnung haben, nicht verzweifeln. Mit Gelassenheit dem harren, was da auf uns zukommen mag. Solidarisch sein. Nie aufgeben! Wo notwendig, konstruktive Kritik üben. Jammern nützt keinem. Genau das sollten wir jetzt auch beherzigen.