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27. März 2020, von Michael Schöfer
Corona legt die Nervenbahnen der Wirtschaft lahm


Bei denen, die momentan in Deutschland einen Spaziergang durch die Innenstädte oder Vororte machen, hinterlassen die geschlossenen Geschäfte und Kneipen bestimmt ein mulmiges Gefühl. Mindestens. Da haben viele Gewerbetreibende buchstäblich von einem Tag auf den anderen keinen Umsatz mehr. Nicht weniger, wie in einer normalen Konjunkturkrise, sondern überhaupt nichts. Null. Man mag gar nicht daran denken, wie lange die das durchhalten. Was man so hört und liest, vielleicht in paar Wochen. Aber spätestens nach zwei oder drei Monaten steht bei den meisten der Pleitegeier vor der Tür. Mietverhältnisse enden, Kredite werden nicht mehr bedient. Ob das die Staatshilfe kompensieren kann? Und wenn ja, wie lange? Das Heer der Arbeitslosen wird zweifellos wachsen. Und wer nichts verdient, zahlt obendrein keine Steuern und muss sich künftig mit drastisch eingeschränkter Kaufkraft abfinden, was wiederum die überlebenden Gewerbetreibenden zu spüren bekommen. So kommt eins zu anderen.

Eine Abwärtsspirale, wie wir sie bislang nur aus Regionen kannten, in denen eine einst vorherrschende Branche vom Niedergang betroffen war. Der berühmt-berüchtigte Rust Belt in den USA oder die ehemaligen Industrieregionen um Liverpool und Manchester in Nordengland. Bei denen, die den Strukturwandel verpassten, wächst inzwischen nichts mehr, allenfalls die Anzahl der Depressionen bei den Einwohnern. Die schier unausweichliche Folge ist kultureller und gesellschaftlicher Zerfall. Doch das wurde durch einen allmählichen Wandel verursacht, der lediglich ein paar Regionen betraf. Nun erleben wir das Ganze schlagartig und ausgedehnt auf sämtliche Regionen. Das Gleiche findet parallel in fast allen anderen Industrieländern statt. So etwas wie den Shutdown hatten wir noch nie. Wir kennen zwar große und kleine Konjunkturkrisen sowie (aus der Vergangenheit) die Kriegswirtschaft, aber die bewusste und von oben verordnete Unterbrechung jeglicher Wirtschaft ist radikal neu. Falls die Coronakrise länger anhält, wird das in unserer hochkomplexen Weltwirtschaft schwere Verwerfungen hervorrufen. Gerade weil inzwischen alles mit allem zusammenhängt und jeder von jedem abhängig ist.

Die Globalisierung hat ein weltumspannendes Handelsnetz geschaffen, aber dadurch sind wir auch viel anfälliger geworden. Zerreißt dieses Netz an irgendeiner Stelle, wie es beim Beginn der Corona-Pandemie in Wuhan geschah, sind früher oder später auch alle anderen Teile des Netzes davon betroffen, etwa durch die Kappung von Lieferketten. Das Netz bloß an einer Stelle zu flicken, ist dann womöglich zwecklos, weil andere Löcher noch nicht geflickt werden können. Die Corona-Pandemie ist kein Tsunami, der alles rücksichtslos niederwalzt. Die Corona-Pandemie ist vielmehr wie eine Autoimmunkrankheit, die die Nervenbahnen des Körpers lahmlegt. Man kann nur hoffen, dass die Verantwortlichen wissen, was sie tun. Es kommt der Tag, an dem man sich fragen muss, was für die Menschheit schädlicher ist: der Kollaps der Wirtschaft oder die vom Virus ausgelöste Krankheit. Und dieser Tag ist nicht fern.