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23. April 2020, von Michael Schöfer
Die nukleare Teilhabe hat sich endgültig überlebt


"Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei", sagte Angela Merkel im Jahr 2017. Gemeint waren die USA. Im Jahr darauf bekräftigte die Bundeskanzlerin: "Wir können uns nicht einfach auf die Ordnungsmacht und Supermacht Vereinigte Staaten von Amerika verlassen." Die Zweifel an der westlichen Führungsmacht sind, insbesondere seit Donald Trump im Oval Office sitzt, durchaus berechtigt. So gesehen verwundert es schon, dass Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer amerikanische F-18-Kampfflugzeuge beschaffen will, um weiterhin an der nuklearen Teilhabe festhalten zu können. Dabei ist die nukleare Teilhabe ein Konzept aus dem Kalten Krieg, als die Bündnisgrenzen in Europa noch ganz anders verliefen. Und sie war schon damals höchst fragwürdig.

Die nukleare Teilhabe, der Einsatz von amerikanischen Atombomben durch die Bundeswehr, stammt aus einer Zeit, in der die Bündnisgrenze zwischen NATO und Warschauer Pakt mitten durch die beiden damals noch existierenden deutschen Staaten ging. Im Ernstfall hätte die Bundeswehr amerikanische Gefechtsfeldwaffen eingesetzt, aber der Kriegsschauplatz wäre Mitteleuropa gewesen. Nun hat sich zwischenzeitlich die Sowjetunion und mit ihr der Warschauer Pakt aufgelöst, die NATO-Osterweiterung hat die Bündnisgrenze weit in Richtung Russland verschoben. Das Gebiet der NATO erstreckt sich heute bis zur polnischen Grenze mit Weißrussland und der Ukraine sowie bis zur Ostgrenze der baltischen Staaten (Estland, Lettland, Litauen) mit Russland. Die befürchtete Invasion sowjetischer Panzerdivisionen hat sich damit erledigt.

Dass russische Truppen die NATO überfallen, ist trotz der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim unwahrscheinlich. Ob Russland das Risiko einer direkten Konfrontation mit der NATO eingeht, darf man zu Recht bezweifeln. Was hätte Moskau, etwa durch eine Invasion der baltischen Staaten, zu gewinnen? Das Risiko eines Krieges mit der NATO steht in keinem Verhältnis zum möglichen territorialen Gewinn. Die nukleare Teilhabe mit F-18-Kampfflugzeugen aufrechterhalten zu wollen, ist aber nicht bloß wegen der unzuverlässigen Führungsmacht USA fragwürdig, sie macht auch militärisch wenig Sinn. In seiner neuesten Ausführung hat der Kampfjet ohne Luftbetankung einen Einsatzradius von lediglich 720 km. Das heißt, selbst wenn die F-18 am östlichsten Punkt Deutschlands stationiert wäre, läge Russland (mit Ausnahme der Region um Kaliningrad) außerhalb ihrer Reichweite. Das bedeutet: Die F-18 würde wahrscheinlich taktische Nuklearwaffen über dem Bündnispartner Polen zum Einsatz bringen (vom Fliegerhorst Büchel bis zur westpolnischen Stadt Posen sind es 730 km).

Mit anderen Worten: Die nukleare Teilhabe liegt gar nicht im Interesse der Europäer. Europa zum Schlachtfeld eines begrenzten Nuklearkrieges zu machen, liegt vielmehr einzig und allein im Interesse der USA. Und wer würde Donald Trump nicht zutrauen, seine Bündnispartner, auf die er ohnehin wenig Wert zu legen scheint, im Bedarfsfall eiskalt zu opfern. America first! Es wird Zeit für die Europäer, ihre Sicherheit in die eigenen Hände zu legen. Die Bundeswehr braucht keine nukleare Teilhabe, demzufolge sollte sie auch keine US-Kampfflugzeuge bestellen. Ziel muss sein, gemeinsam mit Frankreich und Spanien das Kampfflugzeug der sechsten Generation (Future Combat Air System) zu entwickeln. Und bis dahin reicht die Beschaffung von weiteren Eurofightern als Ersatz für die Tornados völlig aus.

Nachtrag (18.05.2020):
Moritz Kütt vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) hat mich dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass die F-18 mithilfe von am Cockpit anliegenden Conformal Fuel Tanks auf einen Einsatzradius von rund 1.300 km kommen könnte. Damit wäre vom Fliegerhorst Büchel aus zumindest Kaliningrad in Reichweite (Entfernung 1.100 km). Die F-18 kommt aber selbst dann bestenfalls knapp über die polnische Ostgrenze zu Weißrussland und zur Ukraine hinaus.