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10. Juli 2020, von Michael Schöfer
Rechtes Netzwerk bei der hessischen Landespolizei?


Die Fraktionsvorsitzende der Linken im hessischen Landtag, Janine Wissler, hat Morddrohungen erhalten, unterzeichnet waren diese E-Mails mit "NSU 2.0". Sie enthielten persönliche Daten, die nicht öffentlich zugänglich sind, diese Informationen wurden zuvor nachweislich von einem Polizeirechner in Wiesbaden abgefragt. Unglaublich, aber wahr: Trotz der politischen Brisanz hat es das hessische Landeskriminalamt versäumt, den Innenminister darüber zu informieren. Peter Beuth (CDU) warf daraufhin dem LKA schwere Versäumnisse vor.

Er habe zwar noch immer keine Belege für ein rechtes Netzwerk bei der hessischen Landespolizei, beteuerte Beuth, aber dieser zweite Fall (der erste waren die Drohungen gegen die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz) nähre zumindest den Verdacht. "Dieser Verdacht wiegt schwer. Ich erwarte von der hessischen Polizei, dass sie nichts unversucht lässt, diesen Verdacht zu entkräften." [1] Beuth setzte einen Sonderermittler ein.

Man wundert sich immer wieder aufs Neue: "Wie der Spiegel am Donnerstag berichtete, konnte sogar ein Beamter ermittelt werden, unter dessen persönlicher Kennung Wisslers Daten abgerufen wurden. Der Mann werde nun offiziell als 'Zeuge' geführt, schreibt der Spiegel. Der Grund: Er habe die Abfrage bestritten und gesagt, womöglich habe ein anderer Kollege seine Kennung benutzt. Eine Durchsuchung der privaten Datenträger des Beamten habe daraufhin nicht stattgefunden, heißt es in dem Bericht." [2] Da fragt man sich ernsthaft, wieso das LKA Spuren nicht sorgfältig ausermittelt.

Nehmen wir einmal an, von meinem Computer würden nachweislich Drohmails an den CDU-Fraktionsvorsitzenden im hessischen Landtag verschickt, da gäbe es mit Sicherheit das volle Programm: Beschlagnahmung sämtlicher privater Computer, des Handys, der Datenträger. Das würde man anschließend alles akribisch auswerten. Höchstwahrscheinlich käme es sogar zu einer Wohnungsdurchsuchung, immerhin lägen Morddrohungen gegen einen Landtagsabgeordneten vor. Solche Maßnahmen können schließlich schon beim Verdacht auf Filesharing (Verletzung des Urheberrechts) vorgenommen werden. Warum sind sie dann bei der Androhung eines Kapitalverbrechens unterblieben? Spätestens nach dem Mord an Walter Lübke sollte keiner mehr Morddrohungen gegen Politiker auf die leichte Schulter nehmen. Am wenigsten ein Landeskriminalamt.

Natürlich gilt auch hinsichtlich des Wiesbadener Polizeibeamten die Unschuldsvermutung, doch das hindert die Behörden ja nicht, die ganze Palette an zulässigen Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Wie bei jedem normalen Bürger auch. Offenbar ist das aber im vorliegenden Fall unterblieben, das LKA sah das wohl anders. Warum? Beißhemmung unter Kollegen? Diese Vorgehensweise spricht erneut für eine unabhängige Kontrolle der Polizei durch eine eigens dafür geschaffene Institution, wie etwa in Großbritannien das Office for Police Conduct (IOPC). Und den Gegnern dieser unabhängigen Kontrollinstanz gehen langsam die Argumente aus.

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[1] Süddeutsche vom 09.09.2020
[2] Hessischer Rundfunk vom 09.07.2020

Nachtrag (10.07.2020, 14:00 Uhr):
Auch die Linken-Politikerinnen Martina Renner (MdB) und Anne Helm (Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus) haben Morddrohungen erhalten. Beide ebenfalls mit "NSU 2.0" unterzeichnet, und auch sie enthielten persönliche, nicht öffentlich zugängliche Daten.