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13. Februar 2021, von Michael Schöfer
Kein Wunder, wenn Rainer Wendt an Rückhalt verliert


Der Polizeigewerkschafter Rainer Wendt, der selbst im eigenen Laden nicht mehr unumstritten ist (beim DPolG-Bundeskongress 2021 bekam er bloß noch 188 von 331 Delegiertenstimmen, 2011 und 2015 wurde er nahezu einstimmig gewählt), kann es trotzdem nicht lassen: "Ich will jetzt auch mal politisch korrekt sein: Diese Scheißkälte im Winter kommt von der Erderwärmung, genauso wie die Hitze im Sommer. Und wer das nicht glaubt, ist bestimmt rechts oder Leugner von irgendwas. Ist das jetzt richtig so?", schreibt er auf seiner Facebook-Seite. [1] Interessant, dass der Bundesvorsitzende einer Gewerkschaft offenbar intellektuell nicht in der Lage ist, zwischen "Klima" und "Wetter" zu unterscheiden. Und ebenso wenig zwischen "regional" und "global".

Fangen wir mit Letzterem an, Beispiel Resolute Bay in Kanada. Das ist die zweitnördlichste Siedlung des Landes, sie liegt innerhalb des Polarkreises und beherbergt seit 1947 eine Wetterstation. (Zum Vergleich: Das ist der gleiche Breitengrad, auf dem in der Barentssee die Bäreninsel liegt, etwa auf dem halben Weg zwischen Nordkap und Spitzbergen.) Am 8. Februar 2021, als Wendt seinen Beitrag postete, ging die Sonne dort erst um 10:53 Uhr Ortszeit auf und bereits um 14:15 wieder unter. Die Polarnacht, in der die Sonne überhaupt nicht aufgeht (siehe unter "Neigung der Erdachse"), war gerade mal vier Tage vorbei. [2]

Normalerweise ist es in dieser Region im Februar mit einer maximalen Tageshöchsttemperatur von durchschnittlich -29,4 Grad Celsius bitterkalt (Maßstab Ø 1961-1990). An besagtem 8. Februar stieg die Quecksilbersäule in Resolute Bay jedoch auf vergleichsweise milde -12 Grad (9:00 Uhr Ortszeit). Anders ausgedrückt: Es war in Kanada nördlich des Polarkreises ungewöhnlich warm. Am 23. Januar 2021 waren es sogar nur -9 Grad, mithin 20 Grad wärmer als die langjährige Durchschnittstemperatur. Wohlgemerkt, innerhalb des Polarkreises und während der Polarnacht!

Demgegenüber beträgt im Februar die Tageshöchsttemperatur in Berlin im langjährigen Mittel 4,2 Grad Celsius (Maßstab Ø 1971-2000). [3] Dass es dort am 8. Februar 2021 mit einer Tageshöchsttemperatur von -6,4 Grad relativ kalt war, ist, anders als Rainer Wendt suggeriert, kein Argument gegen die Erderwärmung. Wetter und Klima sind nämlich zwei Paar Stiefel. Die am 8. Februar 2021 gemessene außergewöhnliche Wärme innerhalb des Polarkreises und die außergewöhnliche Kälte in Berlin sind lediglich regionale Momentaufnahmen, die isoliert betrachtet überhaupt keine Aussagekraft haben.

Aussagekräftig sind allerdings die langjährigen Wetterdaten - und die fallen bekanntlich unter die Rubrik Klima. Die Häufigkeit, Stärke und Dauer der Anomalien gibt den Ausschlag. Der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) zufolge lagen die Durchschnittstemperaturen in der Arktis in neun der letzten zehn Jahre über dem langjährigen Durchschnitt (Maßstab Ø 1981-2010). [4] Der Trend ist eindeutig: In der Arktis wird es deutlich wärmer, obendrein fallen dort die regionalen Temperaturanomalien doppelt so stark aus wie die globalen. Die überproportionale Erwärmung der Polregionen wurde übrigens von den Klimaforschern schon vor Jahrzehnten vorhergesagt. Aber auch der globale Temperaturtrend zeigt entgegen Wendt's Polemik seit vielen Jahren nur in eine Richtung: steil nach oben.

[Daten: National Aeronautics and Space Administration, Goddard Institute for Space Studies,
GLOBAL Land-Ocean Temperature Index]

Was uns der Polizeigewerkschafter mit seinen substanzlosen Einwürfen sagen will, ist mir ehrlich gesagt vollkommen schleierhaft. Aber das fragt man sich bei vielen, die der Welt ihre Meinung auf Facebook unreflektiert ins Gesicht krakeelen, ohnehin. Kein Wunder, wenn Rainer Wendt sogar in der eigenen Gewerkschaft an Rückhalt verliert.

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[1] Facebook-Seite von Rainer Wendt, Post vom 08.02.2021
[2] timeanddate.de, Resolute Bay, Nunavut, Kanada - Sonnenaufgang und Sonnenuntergang Februar 2021
[4] NOAA, Arctic Report Card 2020, PDF-Datei mit 13 MB