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19. März 2021, von Michael Schöfer
Beipackzettel vs. Risikoabwägung


Der Impfstopp bei AstraZeneca wegen den aufgetretenen Thrombosen mag notwendig gewesen sein, aber seine Aufhebung durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wurde dilettantisch kommuniziert und hat leider weiter verunsichert.

13 Fälle von Hirnvenen-Thrombosen bei insgesamt 1,6 Mio. Impfungen klingen beunruhigend, sind aber dennoch eine vergleichsweise geringe Häufigkeit. Rechnerisch sind das 0,08 Fälle auf 10.000 Impfungen. Zum Vergleich: Bei einem bekannten Schmerzmittel können "sehr selten" Störungen der Blutbildung auftreten. "Sehr selten" bedeutet in weniger als 1 von 10.000 Behandelten. Doch Schmerzmittel können durchaus zu Herzstillstand oder zu Schlaganfällen führen. Ungeachtet dessen wurden davon 2017 allein in Deutschland 545,57 Mio. Tagesdosen verkauft. Die Gefahr durch SARS-CoV-2 ist ungleich größer, bei insgesamt 2.629.750 bestätigten Infizierten sind bislang 74.358 Menschen gestorben (Stand: 19.03.2021, 09:06 Uhr) - das sind gut 282 Tote auf 10.000 Infizierte. Es ist eben immer eine Risikoabwägung, die aber in diesem Fall eindeutig zugunsten der Impfung ausfällt.

Die Kommunikationsstrategie von Jens Spahn war dilettantisch, weil sie bloß darauf abzielte, den Risikohinweis zu ergänzen. "Künftig soll es für das Präparat einen Warnhinweis geben. Die Ereignisse, die zur Aussetzung geführt haben, würden künftig in einer Ergänzung zum Aufklärungsbogen berücksichtigt", meldete der Spiegel. [1] Spahn ergänzt also künftig den Beipackzettel, unterlässt es freilich, das Risiko von AstraZeneca zu erläutern. Und vor allem sagt er nicht, was überhaupt vorgefallen war.

Die Bürgerinnen und Bürger vor dem Fernseher (ein Teil der Pressekonferenz wurde live in der Tagesschau übertragen), mussten sich fragend angesehen haben, ein ergänzender Warnhinweis bringt ihnen nämlich rein gar nichts, wenn sie den Eindruck haben, der Impfstoff sei gefährlich. Eine Gefahr, auf die hingewiesen wird, ist in erster Linie immer noch eine Gefahr. Warnung im Beipackzettel hin oder her. Erläuterung der Ursache? Fehlanzeige! Für die Frage, ob man sich impfen lassen soll, brachte die Pressekonferenz des Bundesgesundheitsministers daher keinerlei Erkenntnisgewinn.

Das übernahmen Forscher der Universitätsmedizin Greifswald, die die Ursache der Hirnthrombosen gefunden haben. Der Impfstoff aktiviere die Blutplättchen (Thrombozyten) und führe bei manchen Geimpften zur Bildung von Blutgerinnseln im Gehirn. Aber weil nun die Ursache bekannt ist, gibt es auch eine Behandlungsmöglichkeit: "Betroffenen könne nun ein Wirkstoff verabreicht werden, der gegen die Thrombose hilft." [2] Klingt beruhigend. Wäre gut gewesen, Jens Spahn hätte darauf hingewiesen, anstatt sich lediglich auf den für Laien nichtssagenden Risikohinweis zu beschränken.

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[1] Spiegel-Online vom 18.03.2021
[2] NDR vom 19.03.2021