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26. Mai 2021, von Michael Schöfer
Kosmetische Lösungen bringen uns nicht weiter


"Geständnisse" im Fernsehen sind nicht unüblich - jedenfalls in Diktaturen. So wurde etwa der schwedische Staatsbürger Peter Dahlin Anfang 2016 in China inhaftiert und anschließend im chinesischen Staatsfernsehen vorgeführt. Er "gestand, 'chinesische Gesetze gebrochen' zu haben. Auch entschuldigte er sich, 'die Gefühle des chinesischen Volkes verletzt zu haben'." [1] Seine chinesische Freundin wurde ebenfalls inhaftiert. Beide sind inzwischen wieder frei.

Der in China geborene schwedische Publizist und Buchverleger Gui Minhai hatte weniger Glück, er wurde im Februar 2020 zu 10 Jahren Haft verurteilt. Auch er tauchte im chinesischen Staatsfernsehen auf und legte ein öffentliches "Geständnis" ab. Obgleich mutmaßlich von chinesischen Agenten in Thailand entführt, beteuerte Gui, er sei freiwillig nach China zurückgekehrt und habe sich dort den Behörden gestellt. In einem zweiten Fernsehauftritt beschuldigte Gui später schwedische Politiker, ihn "als Schachfigur benutzt" zu haben. [2]

Und nun erleben wir das Gleiche beim Blogger Roman Protassewitsch, der in der vom weißrussischen Autokraten Alexander Lukaschenko zur Landung gezwungenen Ryanair-Maschine saß. Kurz danach strahlte das Staatsfernsehen ein "Geständnis" von ihm aus. Er habe Massenproteste in der Hauptstadt Minsk organisiert, werde aber von den Behörden korrekt behandelt. Wer soll das glauben? Im Video "sieht man Schrammen in seinem Gesicht, es wirkt auffällig gepudert. Seine Unterstützer gehen davon aus, dass seine Nase gebrochen ist und er gefoltert wurde." [3]

Glaubwürdig sind solche "Geständnisse" natürlich nicht, sogar eher peinlich, aber sie sollen Angst verbreiten. Wenn ein Staat dich entführen und öffentlich vorführen kann, erniedrigt das nicht nur die Betroffenen selbst, sondern demonstriert zugleich allen anderen Oppositionellen: Wir können uns alles erlauben, niemand wird euch schützen, ihr seid an keinem Ort der Welt vor unserem Zugriff sicher. Und wenn sich eine Entführung als schwer durchführbar erweist, können wir euch auch liquidieren.

Die Geschichte lehrt, dass man Autokraten nicht mit hilflosen Appellen oder halbherzigen Sanktionen entgegentreten kann, Beschwichtigungen fassen sie nämlich als Schwäche auf und ermuntern sie dazu, die Grenzen des Machbaren immer weiter zu ihren Gunsten zu verschieben. Nicht einmal die Souveränität anderer Länder kann sie dann noch schrecken, wie etwa die Fälle Skripal und Litwinenko belegen. Den Autokraten ist klar, es passiert ja nichts. Es gibt zwar ein paar Sanktionen, die aber oft bloß symbolischer Natur sind. Oder glaubt jemand ernsthaft, Lukaschenko hätte im Westen Geld gebunkert und sei von den unlängst verhängten Kontensperrungen getroffen?

Während man im Westen gegenüber der eigenen Bevölkerung so tut, als habe man etwas getan und Stärke gezeigt, werden die Sanktionen im Verborgenen von hiesigen Unternehmen gerne unterlaufen. Motto: "Geschäft ist Geschäft." [4] Lukaschenko lacht sich bestimmt ins Fäustchen. Noch blamabler ist das Verhalten gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. 2018 hat sich die Europäische Union mächtig aufgeplustert: "Kein Ausbau der Zollunion", hieß es. "EU beschließt harten Kurs gegen Erdogan." [5] Aus hart wurde schnell weich: Vor kurzem machte ihm die EU das Angebot, die Zollunion auszuweiten. [6] Sozusagen als Belohnung, damit er es nicht noch schlimmer treibt.

Das ist nicht die hohe Kunst der Diplomatie, sondern an Erbärmlichkeit kaum zu überbieten. Welcher Autokrat, welches totalitäre System soll uns eigentlich noch ernst nehmen? Wir machen uns vielmehr zum Gespött der Weltöffentlichkeit. Das muss aufhören - selbst wenn es unsere wirtschaftlichen Interessen beeinträchtigt. Selbstverständlich sollte man weiterhin mit Autokraten reden, aber Vergünstigungen darf es einzig und allein im Austausch für konkrete Zugeständnisse geben. Alles andere führt nur zu noch viel dreisteren Verbrechen. Kosmetische Lösungen bringen uns nicht weiter.

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[1] Legal Tribune Online vom 26.01.2016
[2] Wikipedia, Gui Minhai
[3] t-online vom 25.05.2021
[4] Deutsche Welle vom 22.11.2020
[5] t-online vom 26.06.2018
[6] t-online vom 25.03.2021