Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



24. Januar 2022, von Michael Schöfer
Wofür verdient Putin Respekt?


Wenn ein Vizeadmiral der Bundesmarine, der in offizieller Mission im Ausland unterwegs ist, nicht professionell zwischen seinen persönlichen Ansichten und der Position der Bundesregierung unterscheiden kann
(bekanntlich gilt hierzulande das "Primat der Politik"), ist er, das berühmt-berüchtigte Peter-Prinzip lässt grüßen, eine krasse Fehlbesetzung. Aber auch seine private Meinung lässt tief blicken und sagt einiges über den geistigen Zustand unserer Institutionen aus.

Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach hat in Indien über Geopolitik schwadroniert: "'Ist Russland wirklich daran interessiert, einen kleinen Streifen ukrainischen Bodens zu haben, den er in ihr Land integriert hat? Nein, das ist Unsinn. Ich denke, Putin übt wahrscheinlich Druck darauf aus, weil er es tun kann. Und er weiß, dass er die Europäische Union spaltet. Doch was er wirklich will, ist Respekt. Er will auf Augenhöhe, er will Respekt. Und - mein Gott - jemandem Respekt entgegenzubringen, kostet wenig, kostet nichts. Also, wenn man mich fragen würde: Es ist leicht, ihm sogar den Respekt zu geben, den er wirklich fordert - und vermutlich auch verdient.' Er sei ein strenggläubiger Katholik, und Russland sei ein christliches Land. Er sehe die größere Bedrohung in China. 'Selbst wir, Indien, Deutschland, brauchen Russland, weil wir Russland gegen China brauchen.' Zum Konflikt zwischen Russland und der Ukraine sagte er: 'Die Halbinsel Krim ist weg, sie wird nicht zurückkommen, das ist eine Tatsache.'" [1]

Ungeheuerlich, wenn sich ein hochrangiger deutscher Offizier dazu hinreißen lässt, als angeblich strenggläubiger Katholik quasi einen Kreuzzug mit dem christlich-orthodoxen Russland gegen China anzuregen. Anders kann man seine Aussage kaum interpretieren. Doch wer sich mit wem aus welchen Motiven heraus gegen wen zusammentut, ist noch immer eine politische Entscheidung, die nicht am Kartentisch des Generalstabs getroffen wird, sondern im Deutschen Bundestag und im Kanzleramt. Dass das totalitäre China in der Tat eine Gefahr für die Demokratie darstellt, ist im vorliegenden Fall ohne Belang. Die Krim mag nur schwer wieder zur Ukraine zurückkommen, aber gehört nicht zu den Aufgaben eines Vizeadmirals, großzügig das Völkerrecht für irrelevant zu erklären und rechtswidrig vorgenommene Gebietseroberungen nachträglich abzusegnen. Was hat ihn da eigentlich geritten? Ist die politische Bildung in der Bundeswehr, bis in die höchsten Ränge hinein, wirklich so armselig?

Und vor allem: Wofür verdient Putin eigentlich Respekt? Für die Mordanschläge an Litwinenko, Skripal und Nawalny, die mutmaßlich vom Kreml in Auftrag gegeben wurden? Für die Verhinderung freier Wahlen in Russland? Für die Unterdrückung der Opposition und die Behinderung der Arbeit von NGOs? Für die Pressezensur? Für die zahlreichen Hackerangriffe? Für die Unterstützung von Autokraten wie Lukaschenko und Schlächtern wie Assad? Für die Annexion der Krim? Für die völkerrechtswidrigen Militärinterventionen in Georgien und der Ostukraine? Für die Vertuschung des Abschusses von Malaysia-Airlines-Flug 17 über dem Donbass? Für den massiven Truppenaufmarsch und die unverhohlenen militärischen Drohungen gegen die Ukraine und andere europäische Länder, darunter die EU-Mitglieder Finnland und Schweden? Für die politisch ausgesprochen dämliche Verletzung des INF-Vetrags? Die Liste von Putins Sünden ist lang, und es gibt keinen Grund, ihm dafür Respekt zu zollen.

Meine Position ist keineswegs einseitig russlandfeindlich. So habe ich in der Vergangenheit auch George W. Bush für seine Lügen im Vorfeld des Irakkrieges und die illegalen CIA-Foltergefängnisse oder Guantanamo kritisiert. Meiner Meinung nach hätte er dafür vor ein ordentliches Gericht gestellt werden müssen. [2] Auch die Drohnenangriffe von Barak Obama habe ich als das bezeichnet, was sie zweifellos sind: rechtswidrige außergerichtliche Tötungen. [3] Ich lege an Wladimir Putin bloß den gleichen Maßstab an, mit dem ich andere messe. Und mir fällt wirklich nichts ein, wofür der russische Autokrat Respekt verdient hätte. Aber ich bin ja auch nicht Vizeadmiral der Bundesmarine. Kurzum, die Demission von Kay-Achim Schönbach war ebenso konsequent wie unausweichlich.

Woher kommt diese heimliche Bewunderung für Putin? Da scheinen einige, die hohe Positionen einnehmen, von der Demokratie wenig zu halten und präferieren offenkundig den "starken Mann". Zumindest hinter vorgehaltener Hand. Aber es gibt natürlich auch ökonomische Motive, Putin kümmert sich auffallend intensiv um Anschlussverwendungen einflussreicher Persönlichkeiten. Harald Kujat, ehedem Generalinspekteur der Bundeswehr, ist Aufsichtsratsmitglied des kremlnahen Instituts "Dialog der Zivilisationen", dem die Verbreitung russischer Propaganda vorgeworfen wird. [4] Die Tätigkeit des deutschen Altkanzlers Gerhard Schröder für Nord Stream ist ja hinlänglich bekannt. Putins Jobbörse ist allerdings nicht nur in Deutschland aktiv. Der österreichische Altkanzler Wolfgang Schüssel ist beim russischen Mineralölkonzern Lukoil tätig. Einer seiner Nachfolger, der österreichische Altkanzler Christian Kern, ist Aufsichtsratsmitglied der russischen Staatsbahn RZD. Der frühere österreichische Finanzminister Hans Jörg Schelling berät den russischen Gaskonzern Gazprom. Und die ehemalige österreichische Außenministerin Karin Kneissl, auf deren Hochzeit Putin persönlich vorbeischaute und dort sogar mit ihr tanzte, ist Aufsichtsratsmitglied des russischen Ölkonzerns Rosneft sowie Kolumnistin beim Staatssender Russia Today (RT). [5] Ob da in jedem Einzelfall die Expertise das ausschlaggebende Einstellungskriterium war?

Putin versteht es, die gesellschaftlichen Konflikte in den Demokratien geschickt auszunutzen bzw. anzuheizen. Mit legalen und illegalen Methoden. Seine berufliche Laufbahn beim KGB war diesbezüglich gewiss hilfreich. Aus der Sicht eines nahezu uneingeschränkt herrschenden Autokraten mag der Westen schwach erscheinen. Doch er könnte sich auch verkalkulieren.

----------

[1] Wikipedia, Kay-Achim Schönbach
[2] siehe z.B. George W. bitte nicht vergessen vom 26.04.2011
[3] siehe z.B. Wozu braucht Deutschland Kampfdrohnen? vom 02.02.2013
[4] Deutschlandfunk Kultur vom 13.02.2017
[5] Der Standard vom 09.05.2020