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10. Januar 2023, von Michael Schöfer
Bluten sollen immer nur die anderen


Wenn sich Ökonomen zur Rente äußern, ist vor allem interessant, was sie nicht sagen. Beispiel: Das Interview von Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schnitzer (Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, vulgo: die fünf Wirtschaftsweisen) in der Süddeutschen Zeitung. Schnitzer ist für die Erhöhung des Renteneintrittsalters (Rente erst ab 69 oder 70), Schnitzer ist für die Erhöhung der Rentenbeiträge, Schnitzer ist für die Absenkung des Rentenniveaus (Entkoppelung von Rentenerhöhungen und Lohnsteigerungen), Schnitzer will sich von der verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsgarantie lösen (Äquivalenz von Rentenbeiträgen und -leistungen). "Es gibt mehrere Stellschrauben, und man muss sie alle nutzen", sagt sie. [1]

Eine Wirtschaftsweise muss den Eindruck erwecken, kluge Ratschläge zu erteilen. Das ist schließlich ihr Job. Was sie allerdings verschweigt, ist beispielsweise die Stellschraube "Verbreiterung der Beitragsbasis". Warum schlägt sie im Interview nicht vor, dass ausnahmslos alle Erwerbstätige in die Rentenversicherung einzahlen sollen, also auch Beamte, Abgeordnete und Selbständige? Weil das zu Ende gedacht auf eine partielle Abschaffung des Berufsbeamtentums hinausläuft, wenn alle den gleichen Regeln unterliegen? Weil Frau Prof. Dr. Dr. h.c. Monika Schnitzer später eine Beamtenpension beziehen wird? Und wo bleibt ihre Forderung nach Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze, die die Besserverdienenden begünstigt? Ebenfalls eine von ihr ignorierte Stellschraube. Wenn an allen Stellschrauben gedreht werden muss, dann bitte auch wirklich an allen, nicht bloß an bestimmten.

Die Diskrepanz zwischen der gesetzlichen Rente und den Pensionen ist groß, stellte die Frankfurter Rundschau vor gut einem Jahr fest. "Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Anfragen der Bundestagsfraktion der Linken geht hervor, dass die gesetzliche Rente in 56,2 Prozent der Fälle unter 1000 Euro liegt. 23,8 Prozent der Rentner:innen, das entspricht fast fünf Millionen Menschen in Deutschland, haben monatlich sogar weniger als 500 Euro zur Verfügung. Zum Vergleich: Die Pensionen der ehemaligen Bundesbeamtinnen und -beamten fallen deutlich höher aus. Fast zwei Drittel (65,2 Prozent) der Pensionen liegen laut diesen Zahlen über 2000 Euro im Monat." [2]

Die Süddeutsche erkennt einen "großen Graben" zwischen Renten und Pensionen: "Pensionäre haben oft viel mehr Geld als Rentner. Sie kommen im Durchschnitt auf mehr als 2700 Euro Nettoeinkommen im Monat. Für viele Angestellte bleibt dies ein unerreichbarer Traum." [3] Mitverantwortlich dafür ist unter anderem, dass bei den Beamten lediglich die letzten beiden Jahre vor dem Ruhestand für die Höhe der Pension maßgeblich sind, bei den Rentnern hingegen die Einkünfte über die gesamte Lebensarbeitszeit hinweg (die in jungen Jahren naturgemäß geringer ausfallen). Beamte müssen zudem für ihre Altersversorgung nicht einmal Beiträge zahlen, ihre Pension zahlt der Steuerzahler. Beamte haben systembedingt tatsächlich mehr Netto vom Brutto.

Aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zur amtsangemessenen Alimentation kommt es jetzt in Baden-Württemberg zu einer Beförderungsschwemme bei den Landesbeamten. So werden etwa die Eingangsämter des mittleren und gehobenen Dienstes angehoben, d.h. niedrigere Besoldungsgruppen fallen weg. [4] Die "amtsangemessene Alimentation" stützt sich auf die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums", die wiederum im Grundgesetz verankert sind (Artikel 33 Abs. 5 GG). Darüber wacht mit Argusaugen ein mächtiges Beamtenkartell: Viele Abgeordnete in den Parlamenten waren vor ihrer Abgeordnetentätigkeit Beamte. Die Richter, die die "hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums" auslegen, sind ebenfalls Beamte. Und wie wir oben gesehen haben, besitzen auch Ökonomen nicht selten den Beamtenstatus. Bestens abgesichert und weitgehend sorgenfrei. Wenig verwunderlich, dass es deshalb zahlreiche Vorschläge gibt, die Renten der Arbeitnehmer zu kürzen, aber kaum welche, die Axt auch an den Beamtenpensionen anzulegen. Eine Krähe hackt der anderen bekanntlich kein Auge aus.

Gewiss, die Rente kommt durch die ungünstige Demografie in die Bredouille. Das gilt freilich mit Blick auf die Last der Pensionsansprüche, für die es keine ausreichenden Rücklagen gibt, genauso. Doch bei den Vorschlägen, wie man dem entgegenwirken kann, bleibt man fast ausnahmslos innerhalb des bestehenden Systems. Folge: Es wird ausgerechnet bei denen gekürzt, die ohnehin wenig haben. Die Kürzungsvorschläge kommen obendrein häufig von gut versorgten Beamten, die sich hinsichtlich ihres eigenen Lebensabends keine Sorgen machen müssen. Und die, selbstverständlich ohne jede böse Absicht, ein paar Stellschrauben übersehen, von denen sie - rein zufällig - selbst betroffen wären. Altersarmut? Wir doch nicht! Bluten sollen immer nur die anderen.

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[1] Süddeutsche vom 09.01.2023, Printausgabe Seite 14
[2] Frankfurter Rundschau vom 29.09.2021
[3] Süddeutsche vom 10.11.2020, Printausgabe Seite 26
[4] BBW vom 16.11.2022

Nachtrag (15.01.2023):
Auch Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen, der in der Presse gerne als "Rentenpapst" bezeichnet wird, aber in Wahrheit seit langem mit der Versicherungswirtschaft verquickt ist (und somit als befangen gelten dürfte), plädiert für eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 68 oder 69 und fordert die Absenkung des Rentenniveaus auf 41 oder 40 Prozent. [5] Raffelhüschen lehrt bei der Uni Freiburg und dürfte später ebenfalls eine im Vergleich zur Rente üppige Beamtenpension beziehen. Beamte können gemäß § 14 Beamtenversorgungsgesetz - je nach Dienstzeit - auf maximal 71,75 Prozent ihrer ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge kommen. So ausgestattet lässt sich natürlich locker über angeblich notwendige Rentenkürzungen auf 41 oder 40 Prozent schwadronieren, denn Raffelhüschen wäre davon genauso wenig betroffen wie Monika Schnitzer.

[5] Versicherungsbote vom 10.01.2023