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09. März 2023, von Michael Schöfer
Wie es die Mannheimer CDU gerade braucht


Christian Specht (CDU) will am 18. Juni 2023 bei der OB-Wahl in Mannheim antreten und natürlich gewinnen. Bislang ist Specht Erster Bürgermeister und für die Mannheimer Stadtkasse zuständig. Amtsinhaber Peter Kurz (SPD) hat auf eine Wiederwahl verzichtet, so dass es in der zweitgrößten Stadt Baden-Württembergs auf jeden Fall ein neues Stadtoberhaupt geben wird. Für die Grünen tritt Raymond Fojkar an, die Sozialdemokraten schicken Thorsten Riehle ins Rennen. So weit, so gut.

Doch Christian Specht hat ein kleines Problem, seine Amtszeit als Finanzdezernent läuft nämlich am 31. August 2023 aus, und falls er die OB-Wahl verliert, will er auf jeden Fall Dezernent bleiben. Das ist verständlich, andernfalls müsste sich der 56-Jährige nach einem neuen Job umsehen. Die CDU wird ihm bei seiner Rückversicherungsabsicht gewiss keine Steine in den Weg legen. Allerdings hat sie das nicht immer so gesehen. Wir erinnern uns an die OB-Wahl im Jahr 2007, damals war Peter Kurz Kulturbürgermeister und ein halbes Jahr vor dem Wahlgang stand ebenfalls im Gemeinderat seine Wiederwahl als Dezernent an. (Zur Erläuterung: Der Oberbürgermeister wird direkt vom Volk gewählt, die Dezernenten vom Gemeinderat.)

"Die CDU wird Dr. Peter Kurz geschlossen nicht wählen", las man seinerzeit etwas erstaunt im Lokalblatt Mannheimer Morgen. "Die OB-Wahl lasse sich nicht ausblenden", verkündete der Vorsitzende der CDU-Gemeinderatsfraktion Carsten Südmersen. "Die SPD habe zwar nach der Gemeindeordnung das Vorschlagsrecht, die Union müsse den Kandidaten aber nicht zwingend mittragen." [1] Angeblich soll der CDU-Gegenkandidat von Peter Kurz, Ingo Wellenreuther, bei diesem unseriösen Wahlkampfmanöver eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Logisch, ein arbeitsuchender SPD-Kandidat hätte für die CDU durchaus von Vorteil sein können. Das heimtückische Ansinnen fand jedoch im Gemeinderat keine Mehrheit, Peter Kurz wurde als Dezernent bestätigt.

Anno 2023 lässt sich die OB-Wahl bei einer Dezernentenwahl von der CDU offenbar sehr wohl ausblenden. Wenig verwunderlich, denn jetzt wäre der ja eigene OB-Kandidat von der Verweigerungshaltung betroffen. Und eine Verknüpfung durch den politischen Gegner würde die CDU nun bestimmt entrüstet zurückweisen. Es gilt das altbekannte Prinzip: "Handle immer so, wie du es gerade brauchst." Solche taktischen Spielchen haben viel zur Politikverdrossenheit beigetragen, die Wahlbeteiligung bei den OB-Wahlen in Mannheim geht nicht grundlos kontinuierlich zurück. [2]



Zweifellos eine allgemeine Erscheinung, denn derlei kommt keineswegs nur in Mannheim vor. Aber wenn die Institutionen schon auf kommunaler Ebene damit beginnen, das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zu enttäuschen, brauchen sich die Verantwortlichen über den weitverbreiteten Verdruss im Wahlvolk nicht zu wundern.

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[1] Mannheimer Morgen vom 18.12.2006, online nicht verfügbar
[2] Stadt Mannheim, Statistischer Bericht Mannheim Nr. 8/2015, Wahlbeteiligung bei den Mannheimer Oberbürgermeisterwahlen im Jahr 2015, Seite 8, PDF-Datei mit 612 KB