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18. März 2023, von Michael Schöfer
Wofür zahle ich eigentlich den Rundfunkbeitrag?


Reden wir über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR), aber ausnahmsweise einmal nicht vorrangig über die absurd hohen Gehälter der Intendanten oder den skandalösen Selbstbedienungsladen beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb). Reden wir diesmal hauptsächlich über die vollmundigen Verlautbarungen des neuen ARD-Intendanten und vergleichen diese mit der Realität.

ARD-Chef Kai Gniffke will einen linearen TV-Kanal streichen, ihn aber möglicherweise weiterhin ausschließlich im Internet anbieten. Details lässt er allerdings offen. Ungeachtet des Opa-Fernsehens in den Dritten, den fast schon peinlichen Schmonzetten der Degeto, den noch immer unzureichend gelösten Tonproblemen und der aberwitzigen Krimi-Schwemme behauptet Gniffke im Brustton der Überzeugung: Die ARD sei derzeit der "erfolgreichste Streaming-Anbieter aus Deutschland". Gniffke will "so großen Tech-Konzernen wie Netflix" begegnen. Auf Augenhöhe, soll das wohl heißen. Die ARD gewissermaßen als "mediale Lebensader" des Landes. [1] Große Worte, hehre Ansprüche, doch wie sieht es in Wahrheit aus? Recht bescheiden!

Am 25. Dezember 2022 lief in der ARD zur besten Fernsehzeit "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl", ein wirklich exzellenter Film über das Flüchtlingsschicksal einer deutschen Familie während der Nazi-Diktatur. Der von der Jugend-Filmjury der Deutschen Film- und Medienbewertung ausgezeichnete und von der Bundeszentrale für politische Bildung empfohlene Streifen lief aber nur im linearen Fernsehen, er war weder im Live-Stream zu sehen noch in der ARD-Mediathek eingestellt. Er durfte dort "aus rechtlichen Gründen" leider nicht gezeigt werden, beteuerte die ARD. Wer also Weihnachten nicht gerade vor der Glotze feiern wollte, hatte schlicht und ergreifend Pech.

Das passiert bedauerlicherweise öfter, heute wollte ich mir etwa beim Mitteldeutschen Rundfunk (mdr) den Klassiker "Die Reise zum Mittelpunkt der Erde" aus dem Jahr 1959 ansehen. Den mdr kann ich linear nicht empfangen, da ich das digitale Antennenfernsehen DVB-T2 nutze und der mdr hier in Baden-Württemberg nicht eingespeist wird. Doch Pustekuchen, beim laut Gniffke "erfolgreichsten Streaming-Anbieter aus Deutschland" lese ich im Live-Stream lediglich: "Aus rechtlichen Gründen kann die laufende Sendung nicht angezeigt werden."



Wenn ich einen zusätzlichen Obolus entrichten würde, könnte ich mir zwar über DVB-T2 sogar das Trashfernsehen von RTL reinziehen, beispielsweise den "Bachelor" oder das "Dschungelcamp", aber der mdr geht noch nicht einmal für Extrageld, obgleich ich den Sender ja bereits durch meinen Rundfunkbeitrag (ehedem GEZ-Gebühr) mitfinanziere. Wofür zahle ich den, wenn ich mir bestimmte Filme wie vor 40 Jahren nur linear, aber nicht im Live-Stream anschauen darf? Und im aktuellen Fall nicht einmal das. Was passiert eigentlich, wenn ein Kanal, wie es der ARD-Vorsitzende offenbar plant, nur noch online zu sehen ist? Aus rechtlichen Gründen kann die laufende Sendung nicht angezeigt werden? Willkommen im 21. Jahrhundert!

Außerdem: Bundeswehr, Polizei, Feuerwehr und Katastrophenschutz schielen bereits auf die DVB-T2-Frequenzen und würden das digitale Antennenfernsehen gerne abschaffen. Das wäre auch kein Problem, wenn dann im Internet alles im Live-Stream oder in der Mediathek zu sehen wäre. Ich meine: wirklich alles! Dem ist aber nicht so, wie wir oben gesehen haben. Das Ganze riecht also eher nach Fortsetzung des gewohnten Dilettantismus und weniger nach einer echten Zukunftsvision für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dabei wäre ein qualitativ hochstehender ÖRR notwendiger denn je.

2021 lagen die Jahresgehälter der Intendanten der Landesrundfunkanstalten zwischen 413.000 Euro (Tom Buhro, WDR) und 245.000 Euro (Martin Grasmück, SR). [2] Zum Vergleich: Das Amtsgehalt unseres Staatsoberhauptes belief sich auf in Relation dazu bescheidene 255.000 Euro. [3] Dafür, dass fast alle Intendanten mehr verdienen als der Bundespräsident, will ich endlich auch Taten sehen. Auf wohlklingende, aber letztlich substanzlose Ankündigungen verzichte ich gerne. Und vom angeblich "erfolgreichsten Streaming-Anbieter aus Deutschland" darf man als Rundfunkbeitragszahler durchaus erwarten, auch online das ganze Programm angeboten zu bekommen. Lückenlos. Die Erhebung des Rundfunkbeitrags als Haushaltsabgabe wurde vom Bundesverfassungsgericht auch deshalb gebilligt, weil man das Leistungsangebot des ÖRR u.a. über das Internet empfangen könne, es daher unabhängig vom Besitz eines Fernsehgerätes sei. Wie wir sehen, ist das blanke Theorie, in Wahrheit ist das Leistungsangebot des ÖRR im Internet noch immer nur unvollkommen zugänglich. Wohlgemerkt zehn Jahre nach Einführung der Haushaltsabgabe. Und das ist in meinen Augen ein ebenso unhaltbarer wie empörender Zustand.

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[1] telerarif.de vom 17.01.2023
[2] Statista, Jahresgehälter der ARD-Intendanten der Landesrundfunkanstalten in Deutschland im Jahr 2021
[3] Bundespräsidialamt, Fragen und Antworten, Wie wird der Bundespräsident bezahlt?