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15. April 2023, von Michael Schöfer
Legendäre Fehlprognosen

"Mit Maschinen durch die Luft zu fliegen, ist absolut unmöglich." (Simon Newcomb, Professor für Mathematik und Astronomie an der Johns Hopkins University, im Jahr 1902 - ganze 18 Monate vor dem ersten Motorflug der Gebrüder Wright)

"Es gibt nicht das geringste Anzeichen, dass wir jemals Atomenergie entwickeln können." (Albert Einstein, Entdecker der Relativitätstheorie, im Jahr 1932)

Die Geschichte strotzt nur so von Fehlprognosen, die mit "völlig unmöglich" oder "wird es nie geben" beginnen. Doch der einst von den Bäumen herabgestiegene Primat hat die meisten davon mithilfe seines sagenhaften Erfindergeistes widerlegt. Jetzt heißt es: "Künstliche Intelligenz wird nie ein eigenes Bewusstsein entwickeln" oder "KI wird nie richtig denken können" oder "wir brauchen vor der KI keine Angst zu haben" oder "Künstliche Intelligenz wird den Menschen nie ersetzen" oder "menschliche Kreativität kann nie durch Maschinen ersetzt werden". Angesichts der vergangenen Fehlprognosen würde ich keinen Cent darauf setzen, dass die aktuellen Prognosen tatsächlich eintreffen, sie könnten sich nämlich eines Tages als genauso falsch erweisen. Und angesichts der rasanten Entwicklung der Künstlichen Intelligenz scheint dieser Tag nicht mehr allzu fern zu sein.

1996 gelang es dem Supercomputer Deep Blue, gegen den amtierenden Schachweltmeister Garry Kasparov eine Partie zu gewinnen. Ein Jahr danach gewann Deep Blue gegen ihn sogar einen Wettkampf. Das Brettspiel Go ist ungleich komplizierter als Schach, aber das Computerprogramm AlphaGo von DeepMind brachte sich das Spiel selbst bei und besiegte 2017 den damals in der Weltrangliste führenden Go-Spieler, die einprogrammierte Kenntnis der Spielregeln genügte hierzu vollauf. Nun stellt die Bewältigung von Brettspielen ungeachtet ihrer Komplexität eine eng begrenzte Spezialaufgabe dar, die mit unserer Definition von Bewusstsein oder Denken nicht allzu viel zu tun hat. Die aktuelle Version des Chatbots ChatGPT der Firma OpenAI verunsichert deshalb viele umso mehr. Und das nicht grundlos.

Der berühmte Turing-Test des britischen Mathematikers Alan Turing aus dem Jahr 1950 lautet wie folgt: "Wenn ein Mensch fünf Minuten lang ein Gespräch führen kann, ohne zu merken, dass er mit einer Maschine spricht, hat der Computer den Test bestanden." Und ChatGPT ist verdammt nah dran, den Turing-Test zu bestehen. Die Fortschritte sind wirklich phänomenal, von echtem Bewusstsein und richtigem Denken kann allerdings noch immer nicht gesprochen werden. Doch was ist eigentlich Bewusstsein und worauf beruht das Denken? Hier kommt die für den Homo sapiens, der sich als "Krone der Schöpfung" begreift, charakteristische Arroganz ins Spiel. Wenn ich es richtig verstanden habe, sind sich die Wissenschaftler selbst nach intensivster Erforschung des menschlichen Gehirns nach wie vor uneins darüber, wie unser Denken genau zustande kommt. Klar, es hat etwas mit der Interaktion der Neuronen zu tun. Botenstoffe, elektrische Impulse usw. Aber sonst? Den (abwertend gemeint) "Maschinen" wird diese Fähigkeit jedenfalls kategorisch abgesprochen. Warum? Erinnern Sie sich? Siehe oben unter "völlig unmöglich" oder "wird es nie geben".

Egal, wie das Bewusstsein und das Denken in unserem Kopf konkret entsteht, es beruht zweifelsohne auf dem gleichen Fundament: Auf atomarer Ebene sind Lebewesen und Maschinen gleich, sie unterscheiden sich lediglich durch ihre Anordnung. Es ist vermessen, Bewusstsein und Denken nur einer bestimmten - und zwar der biologischen - Anordnung zuzubilligen. Ein Ergebnis kann durchaus auf unterschiedlichen Wegen zustande kommen. Begonnen hat bei uns ursprünglich wohl alles mit dem unter Überlebensgesichtspunkten äußerst nützlichen Sammeln von Informationen über die Umwelt. Informationen, die verarbeitet wurden und Reaktionen hervorriefen. In groben Zügen macht das auch ein Computer. Ignoriert wird freilich, dass der Homo sapiens, wenn man es von seinen einzelligen Urahnen aus betrachtet, am Ende einer Entwicklungsgeschichte von mehreren Milliarden Jahren steht. Computer sind im Vergleich dazu, wenn man die frühen mechanischen Rechenmaschinen mit einbezieht, erst wenige hundert Jahre alt. Frei programmierbare Maschinen gibt es erst seit den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts, und seitdem schreitet die vom Menschen gesteuerte Evolution der Computer geradezu atemberaubend voran. Die nächste Stufe ist erreicht, sobald Computer eigenständig, d.h. ohne den regulierenden und zielgerichteten Einfluss des Menschen, Computersoftware programmieren.

Entgleitet uns die Kontrolle? Die Gefahr besteht sicherlich, denn zumindest auf zwei Gebieten sind autonome, mit KI ausgestattete Systeme so attraktiv, dass man schon allein aus Konkurrenzgründen kaum auf sie verzichten wird: beim Militär und in der Arbeitswelt.

Wir stehen an der Schwelle zu autonomen Waffensystemen, die künftig stellvertretend für uns auf den Schlachtfeldern kämpfen werden, ohne dass wir dabei - wenigstens auf der eigenen Seite - Menschenleben riskieren. So sind etwa die Kampfjets der nächsten Generation möglicherweise unbemannt. Der schwerste Verlust beim Abschuss eines Kampfjets ist nämlich nicht die Maschine, sondern der Pilot, dessen aufwendige Ausbildung mehrere Jahre dauert. Während die Industrie die Produktion von Flugzeugen in einer Kriegswirtschaft erheblich beschleunigen kann, ist das bei der Ausbildung von Piloten nur begrenzt realisierbar. Der Vorteil von autonomen Kampfmaschinen ist so enorm, dass man das hehre Prinzip "die letzte Entscheidung trifft stets ein Mensch" wohl kaum aufrechterhalten kann, denn wer sich aus ethischen Gründen weigert, rasch reagierenden intelligenten Waffensystemen auch die Entscheidung über Leben oder Tod zu überlassen, wird vermutlich unterliegen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich beschreibe nur, welche Richtung das Kriegshandwerk meiner Meinung nach einschlagen wird, nicht das, was aus meiner Sicht wünschenswert wäre.

In der Arbeitswelt wiederum wird die Künstliche Intelligenz unzweifelhaft Jobs kosten, und das in fast allen Branchen und auf nahezu allen Hierarchieebenen. Wenn man es richtig macht, die daraus resultierenden Profite also nicht bloß auf eine betuchte Minderheit konzentriert, könnte sich unsere Gesellschaft dadurch zu einem veritablen Freizeitparadies entwickeln. Die Geschichte der Industrialisierung legt allerdings eine solche vernünftige Lösung nicht gerade nahe, denn der Kapitalismus war bis dato eine fast ununterbrochene Abfolge von - mitunter ziemlich brutalen - Verteilungskämpfen. National wie international. Ob wir daraus wirklich gelernt haben, ob wir dadurch klug geworden sind, darf bezweifelt werden.

Ob die Künstliche Intelligenz je ihrem Namen gerecht wird, steht in den Sternen. Aber ich würde es angesichts der schier unglaublichen Fortschritte auf diesem Gebiet nicht von vornherein ausschließen. Wer versucht, die aktuelle Entwicklung in Gedanken auch nur 100 Jahre in die Zukunft fortzuschreiben, wird mit großer Sicherheit scheitern. Vor 100 Jahren hätte keiner von dem Computer, auf dem diese Zeilen geschrieben wurden, auch nur zu träumen gewagt. Ebenso wenig vom weltumspannenden Internet, in dem dieser Artikel veröffentlicht ist. Ob sich Alexander Graham Bell mein Smartphone, das neben mir auf dem Schreibtisch liegt, überhaupt hätte vorstellen können? Höchst ungewiss, obgleich Radiowellen und die Funktechnik damals bereits bekannt waren. Wenn Laien heute mit einem Computer kommunizieren, ohne zu wissen, wer ihr Gesprächspartner ist, wie wird das erst im Jahr 2123 sein? Vermutlich werden die Menschen dann ebenfalls über unsere grandiosen Fehlprognosen schmunzeln. Zumindest sofern sich die Menschheit bis dahin nicht selbst ausgerottet hat.

Postskriptum: Mein Ehrenwort, dieser Text ist eigenhändig von mir verfasst worden, eine KI wie ChatGPT hat dazu keinen Beitrag geleistet. Die Betonung liegt freilich auf "noch nicht". Allein die Tatsache, dass wir durch die Möglichkeit, es könnte anders sein, verunsichert sind, belegt die rasanten Fortschritte. Als Autor wäre ich betrübt, wenn Sie den Text einer KI bevorzugen würden, aber das ist natürlich nur meinem Ego geschuldet. Unter Umständen schreibt die KI wesentlich besser. Ich bleibe am Thema dran, Sie werden hier bestimmt wieder von mir lesen. Von mir oder vielleicht von der KI, die auf dieser unbedeutenden Website meinen Job übernehmen wird, falls ich wider Erwarten bald das Zeitliche segnen sollte. Eines steht jedenfalls fest: Im Jahr 2123 unter meinem Namen verfasste Artikel sind definitiv von ihr.

Nachtrag (20.04.2023):
Ich habe ChatGPT von OpenAI gebeten, über das Problem von Diane Kruger mit dem falschen Staatsangehörigkeits-Eintrag auf Wikipedia [1] ein paar Zeilen zu schreiben. Nachfolgend das Ergebnis:

Wikipedia ist eine der größten und bekanntesten Online-Enzyklopädien, die von Nutzern auf der ganzen Welt genutzt wird, um Informationen zu verschiedenen Themen zu finden. In vielen Fällen ist Wikipedia eine wertvolle Quelle für Informationen, aber wie bei jeder anderen Quelle ist es wichtig, die Richtigkeit der Informationen zu überprüfen.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Angabe der Staatsangehörigkeit der Schauspielerin Diane Kruger auf Wikipedia. Seit 2017 wurde sie auf der Seite als Amerikanerin geführt, obwohl sie tatsächlich nur eine Green Card besitzt und keine US-amerikanische Staatsbürgerschaft hatte.

Dies zeigt, dass Wikipedia nicht immer zuverlässige Informationen liefert. Obwohl es viele engagierte und qualifizierte Autoren gibt, die ihr Bestes tun, um genaue Informationen bereitzustellen, ist es unvermeidlich, dass einige Fehler auftreten können.

Deshalb ist es wichtig, immer kritisch zu sein und Informationen aus verschiedenen Quellen zu überprüfen, bevor man sie für wahr hält. Wenn es um wichtige Informationen wie Staatsangehörigkeit geht, ist es besonders wichtig, die Richtigkeit der Quelle zu überprüfen, um Missverständnisse und Fehlinformationen zu vermeiden.

Insgesamt zeigt der Fall von Diane Kruger auf Wikipedia, dass die Zuverlässigkeit von Online-Enzyklopädien wie Wikipedia immer in Frage gestellt werden sollte und dass es ratsam ist, Informationen aus mehreren Quellen zu sammeln, um ein umfassendes Bild zu erhalten.


Ganz ordentlich, wenn Sie mich fragen. Wobei mein Text natürlich viel, viel besser ist. Natürlich.

[1] siehe Die Schwarm-Dummheit auf Wikipedia vom 17.04.2023