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16. April 2023, von Michael Schöfer
Macron entlarvt sich selbst

Emmanuel Macron hat durchaus recht, wenn er mehr europäische Eigenständigkeit fordert, allerdings ist Europa weit entfernt davon, diese Eigenständigkeit auch nur annähernd zu erreichen. Ohne das Engagement der USA wäre jetzt in Kiew ein Marionettenregime von Putins Gnaden an der Macht oder sogar die gesamte Ukraine von Moskau völkerrechtswidrig annektiert worden. Mit allen daraus resultierenden Folgen für die Ukrainer. Wir können uns im Bedarfsfall ja noch nicht einmal selbst verteidigen. Das liegt nicht allein am französischen Präsidenten, aber auch die Grande Nation wacht eifersüchtig über die Interessen ihrer Rüstungsindustrie, woraus sich die Ineffizienz der europäischen Armeen speist. Daran tragen andere europäische Länder, die aus nationalem Interesse genauso engstirnig handeln, ein gerüttelt Maß an Mitschuld.

Aber dass Macron diese im Grunde wünschenswerte Eigenständigkeit ausgerechnet bei seinem Besuch in China anspricht, entlarvt seine schändlichen Motive. Es geht ihm nämlich offenbar nur darum, mit China möglichst ungestört Handel treiben zu können - Menschenrechtslage respektive Kriegsdrohungen hin oder her. Europa dürfe sich in der Taiwanfrage nicht in die Konfrontation zwischen China und den USA hineinziehen lassen, fordert Macron. Das größte Risiko bestehe für Europa darin, "in Krisen hineingezogen zu werden, die nicht unsere sind". Wie erbärmlich!

Nicht unsere Krise? Es geht bei Taiwan im Kern gar nicht darum, wie groß der Anteil der hochwertigen Mikrochips ist, die auf der Insel produziert werden, und ob man nach einem Angriff der Volksrepublik große ökonomische Verwerfungen befürchtet. Es geht vielmehr darum, dass Taiwan inzwischen eine gefestigte Demokratie ist und die Menschen dort verständlicherweise nicht unter der Fuchtel von Xi Jinping stehen wollen. Es geht also darum, ob man eine Demokratie aus eigensüchtigen Motiven heraus opfert, denn was Pekings Zusagen ("ein Land, zwei Systeme") wert sind, hat man schließlich in Hongkong gesehen. Nicht das Papier, auf dem die Verträge geschrieben stehen. Unglaublich! Hätte Macron im Kalten Krieg vielleicht auch West-Berlin geopfert, wenn die Handelsbeziehungen zur Sowjetunion lukrativ genug gewesen wären?

Wer wie Emmanuel Macron bereit ist, eine Demokratie unseren Handelsinteressen zuliebe preiszugeben, hat jeden moralischen Kompass verloren. Demokratien stehen einander bei. Nicht nur wegen den gemeinsamen Werten, sondern weil es alle Demokratien dadurch leichter haben. Einigkeit macht stark! Es ist in einer Welt voll von gewaltbereiten Kriegsverbrechern schlicht eine Frage des Überlebens - auf "dass die Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk, nicht von der Erde verschwinden möge" (Abraham Lincoln). Doch möglicherweise stand das auf der Elite-Uni, an der der "Präsident der Reichen" studierte, nicht auf dem Lehrplan.