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30. April 2023, von Michael Schöfer
Im Nachhinein, wenn es zu spät ist


Auf dem Peloponnes kam es immer wieder zu Bodenerosion durch extensive Besiedlung und landwirtschaftliche Nutzung. "Gewiß hat man Landschaftszerstörung (wenn auch nicht die Ursachen dafür) schon in der Antike beobachtet; vor allem bei Platon (427 bis 347 vor Christus) und Aristoteles (384 bis 322 vor Christus) lassen sich viele Hinweise darauf finden. Sie berichteten offenbar aus eigener Anschauung detailliert über Entwaldung und Bodenerosion im 4. vorchristlichen Jahrhundert. Inzwischen bestätigen archäologische Untersuchungen nicht nur die Schädigung der Umwelt zur Zeit der ersten Bauernkulturen, sondern auch, daß dafür vor allem die damaligen Bewohner verantwortlich waren." [1] Was allerdings später die Römer nicht daran gehindert hat, den Mittelmeerraum großflächig abzuholzen, wobei man sie trotzdem nicht für jeden Umweltfrevel verantwortlich machen darf, so begann etwa die Entwaldung der Iberischen Halbinsel erst im Mittelalter. Und heute, in Zeiten des von Menschen gemachten Klimawandels, entwickelt sich Spanien in beängstigendem Tempo zur Wüste (wozu freilich auch eine wenig nachhaltige Landwirtschaft ihren Teil beiträgt).

"Wir vergiften die Flüsse und Elemente der Natur, selbst das, was uns leben lässt, die Luft, verderben wir. Anstatt maßvoll mit der Natur umzugehen, verbrauchen die Menschen in unersättlicher Gier die Ressourcen der Erde und fragen nicht nach der Zukunft." [2] Nein, diese Sätze stammen nicht von der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg, sondern von Plinius dem Älteren, der 79 n. Chr. beim Ausbruch des Vesuv gestorben ist. Umweltzerstörungen und die Warnungen davor gab es also bereits in der Antike. Vermutlich haben die Zeitgenossen von Plinius seine Warnung jedoch genauso verständnislos zur Kenntnis genommen wie die aggressiven Autofahrer, die bei den Klebeaktionen auf die Aktivisten der "letzten Generation" losgehen. "Dummkopf", dürften die Römer damals gedacht haben, was wir heute fassungslos (weil Plinius recht behielt) zur Kenntnis nehmen, uns aber dennoch nicht davon abhält, mindestens genauso verwerflich zu handeln. Durch unsere technischen Möglichkeiten sogar mit viel gravierenderen Folgen.

Der CSU-Politiker Alexander Dobrindt warnt vor der Entstehung einer "Klima-RAF", setzt die Umweltaktivisten demzufolge mit Terroristen gleich. Selbst Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang bezeichnet das als "Nonsens". [3] Wie dem auch sei, jedenfalls entwickeln sich die Klimaaktivisten zu den Buhmännern und -frauen der Nation. Es ist aber keineswegs auszuschließen, dass künftige Generationen eher über Dobrindt verständnislos den Kopf schütteln und sich verwirrt fragen werden, warum seinerzeit nicht mehr bei den Aktionen der "letzten Generation" mitgemacht haben. Vor allem, wenn die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels erst einmal voll durchgeschlagen sind, momentan erleben wir ja bloß den vergleichsweise harmlosen Beginn. Haben sie es nicht gewusst oder wollten sie es nicht wissen, wird man entgeistert fragen. Politiker wie Dobrindt stehen dann wahrscheinlich als Dummköpfe da, während die Klimaaktivisten analog zu Plinius vielleicht als verkannte Vorkämpfer gelten. Ich bin fast sicher, es wird eine Zeit kommen, da werden sich die Menschen wünschen, es hätten mehr Klebeaktionen stattgefunden. Im Nachhinein, wenn es - wie so oft - zu spät ist.

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[1] Spektrum.de vom 01.05.1995
[2] Stuttgarter Zeitung vom 30.09.2022
[3] Beck aktuell vom 17.11.2022