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19. Mai 2023, von Michael Schöfer
Die Zustimmung schmilzt womöglich schneller als die Alpengletscher


Kein Zweifel, wegen den immer stärker spürbaren Folgen des Klimawandels müssen wir rasch umsteuern, uns bleibt dazu objektiv betrachtet kaum noch Zeit. Weil frühere Bundesregierungen nicht rechtzeitig und effektiv genug gehandelt haben, fällt das Ganze nun der rot-grün-gelben Ampelregierung im Allgemeinen und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Besonderen auf die Füße. Wäre Angela Merkel ihrem (faktisch unzutreffenden) Image als "Klimakanzlerin" wirklich gerecht geworden, hätten sich die ökonomischen Kosten in Grenzen gehalten und wäre das Umsteuern für die Bürgerinnen und Bürger einigermaßen erträglich gewesen. Doch das ist Schnee von gestern, und Jammern hilft nicht weiter. Es ist nun mal so, wie es ist. Einerseits läuft uns die Zeit aufgrund des fast ausgereizten Emissionsbudgets davon, andererseits darf man die Menschen trotzdem nicht finanziell überfordern. Die Angst vor sozialen Verwerfungen ist keineswegs unbegründet, übrigens unabhängig davon, welcher Partei man zuneigt.

Ich habe in der Vergangenheit bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die Entscheidung für das Elektroauto zwar wünschenswert ist, aber eine deutlich erkennbare soziale Schieflage aufweist. [1] Für viele Normalverdiener sind Elektroautos momentan noch keine Alternative, was vor allem an ihrer oft ungünstigen Wohnsituation und dem relativ bescheidenen Einkommen liegt (laut Statista betrug 2021 das Durchschnittsgehalt aller Arbeitnehmer 2.165 € netto).

Als ich noch einen Twitter-Account hatte, habe ich einmal versucht, dieses Thema mit einem Vertreter der "Klimaliste Baden-Württemberg" zu erörtern. Ich wies auf die unzureichenden Lademöglichkeiten hin, er meinte sinngemäß, irgendwo lässt sich immer aufladen - entweder zu Hause, beim Einkaufen oder beim Arbeitgeber. Das mag auf die Lebensrealität eines gutsituierten Professors zutreffen, der in der hauseigenen Garage eine Wallbox hängen hat oder auf seinem Stellplatz in der Uni-Tiefgarage aufladen kann, geht aber an der Lebensrealität von vielen Normalverdienern (ohne Garage, ohne Ladesäule beim Arbeitgeber) völlig vorbei. Doch das ließ er nicht gelten, hat mir sogar mit ziemlich ruppigen Worten vorgeworfen, ich würde konservativ argumentieren. Ausgerechnet mir, der noch nie im Leben die Konservativen gewählt und das Privatauto schon vor 20 Jahren abgeschafft hat. Bei der Bundestagswahl ist die "Klimaliste Baden-Württemberg" dann erwartungsgemäß sang- und klanglos untergegangen, läppische 3.967 Erststimmen, mangels Landesliste keine einzige Zweitstimme. Die Wählerinnen und Wähler können eben herzlich wenig mit realitätsfernen, dafür aber umso kompromissloser vorgetragenen Forderungen anfangen. Verbissenheit weckt bekanntlich keine Sympathien, selbst wenn die Ziele lobenswert sind.

Natürlich muss die Zeit der autogerechten Stadt bald ein Ende finden, gleichwohl darf man das Auto, auf das viele beruflich angewiesen sind, für die breite Masse nicht völlig unerschwinglich machen. Doch wenn Arno Antlitz, seines Zeichens Finanzchef des Autobauers VW, offen zugibt, dass es in seinem Unternehmen aus heutiger Sicht kein Elektroauto unter 25.000 Euro geben wird [2], müssen sich viele Gedanken machen, ob sie sich in Zukunft überhaupt noch ein Auto leisten können. Die Besserverdienenden brauchen diesbezüglich keine Ängste zu haben, Durchschnittsverdiener oder Rentner dagegen umso mehr. Volkswagen - nomen est omen - stand einmal für erschwingliche Autos, das ist offenbar nach dem Ende der Verbrenner endgültig vorbei.

Das Gleiche gilt für den unvermeidlichen Umbau der Heizungen in unseren Häusern und Wohnungen. Dieser ist, wollen wir unsere Klimaziele erreichen, zweifelsohne notwendig, denn die Raumwärme emittiert besonders viel Kohlendioxid (2020: 144 Mio. t = 73 % der Kohlendioxid-Emissionen im Bereich Wohnen und 22 % der Gesamt-Emissionen in Höhe von 644 Mio. t), ergo kann dort auch entsprechend viel eingespart werden. [3] Jedenfalls sofern man das Vorhaben klug plant. Weniger klug ist es freilich, die Menschen dabei nicht mitzunehmen, ihnen vielmehr Angst vor finanzieller Überforderung zu machen.

In puncto Heizungen müssen sich, analog zum Elektroauto, gutsituierte Professoren und andere Besserverdiener vergleichsweise wenig Sorgen machen. Doch Deutschland ist in Europa Mieterland Nr. 1, wie das Statistische Bundesamt konstatiert, 2021 lebten 50,5 Prozent zur Miete. [4] Die Mieten steigen ohnehin schon seit langem rasant, wenn dann noch hohe Kosten für die Modernisierung der Heizungen hinzukommen, machen sich Durchschnittsverdiener oder Rentner zu Recht Sorgen darüber, ob in ihrer Geldbörse noch genug Geld für andere Bedürfnisse übrig bleibt.

Ein Beispiel: Ich wohne zur Miete in einem 10-Familien-Haus und meine Wohnung wird mit Gas beheizt. Fernwärmeanschluss liegt bereits in der Straße, die Umrüstung wäre also technisch gesehen kein Problem, doch dafür müssten im Haus neue Rohre (auch für Warmwasser) und neue Heizkörper installiert werden. Der Bezirksschornsteinfeger, den ich bei der jährlichen Überprüfung gefragt habe, schätzt die Kosten auf ca. 150.000 Euro. Gegenwärtig dürfen Vermieter 8 Prozent der Modernisierungskosten auf die Miete umlegen (§ 559 BGB), was würde das für die Mieter in meinem Mietshaus bedeuten?

Nehmen wir an, die 150.000 Euro sind realistisch, dann käme auf jeden Mieter eine Modernisierungsumlage von monatlich 100 Euro hinzu (150.000 € x 8 % = 12.000 € : 10 Mietparteien = 1.200 €/Jahr je Mietpartei = 100 €/Monat). Wohlgemerkt: Zusätzlich zur bisherigen Mietbelastung, von der derzeit hohen Inflation ganz zu schweigen. Ob dadurch die Heizkosten sinken, ist obendrein ungewiss, weil man dafür eigentlich noch die Hausfassade dämmen müsste, was allerdings weitere Kosten verursacht, die der Vermieter natürlich ebenfalls umlegen darf. Kostet der Umbau dagegen 300.000 Euro, steigt die Mietbelastung um 200 Euro pro Monat. Hinter der Heizungsmodernisierung verbirgt sich folglich sozialer Sprengstoff ohnegleichen.

Solche Zusatzbelastungen kann sich nicht jeder leisten. Bei Menschen, die monatlich netto weniger als besagte 2.165 Euro zur Verfügung haben, löst das zu Recht Ängste aus, das Einkommen oder die Rente orientiert sich nämlich nicht an den hohen Mietkosten. Und von irgendetwas muss man ja auch noch leben. Welche Förderung die Mieter letztlich bekommen, ist für Nichtjuristen aufgrund der komplizierten Gemengelage bislang völlig undurchschaubar (allein die Abgrenzung zwischen Modernisierungs- und Erhaltungsmaßnahme ist ein Kapitel für sich). Auch nach der Lektüre des Entwurfs des neuen Gebäudeenergiegesetzes [PDF-Datei mit 1,4 MB] ist man kaum schlauer, angesichts dessen dürften sich Rechtsanwälte bereits die Hände reiben, Mieter und Vermieter hingegen sehen Ungemach auf sich zukommen.

Das Ganze wird zu allem Überfluss noch durch den skrupellosen parteipolitischen Opportunismus von CDU und CSU unnötig angeheizt. Man darf mit Fug und Recht wütend sein auf die Union, die den ökologischen Umbau jahrzehntelang behindert hat, nun aber pharisäerhaft als Schutzengel der Betroffenen auftritt, obgleich die jetzige Misere in erster Linie ihr anzulasten ist. Doch selbst Anhänger der Grünen, entgegen anderslautenden Gerüchten können sich nicht alle eine exklusive Wohnung im hippen Prenzlauer Berg leisten, kommen hier durchaus ins Grübeln. Gewiss, die Zeit drängt, dennoch muss das Umsteuern sozialverträglich über die Bühne gehen. Darüber hört man allerdings bislang kaum mehr als vage Absichtserklärungen. Eines ist jedenfalls sicher: Ohne wirksamen sozialen Ausgleich wird die Zustimmung für die Grünen schneller dahinschmelzen als die Alpengletscher.

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[2] Süddeutsche vom 30.01.2023, Printausgabe Seite 16
[4] Statistisches Bundesamt, Deutschland ist Mieterland Nr. 1 in der EU