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| Impressum 27. Mai 2023, von Michael Schöfer So kann und darf es nicht weitergehen Die Politik hat abermals kläglich versagt. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland ganze 295.300 Wohnungen gebaut, meldet das Statistische Bundesamt (nur 0,6 % mehr als im Jahr zuvor). Das ist weit weg vom Ziel der Bundesregierung, jährlich 400.000 Wohnungen zu errichten (darunter 100.000 Sozialwohnungen). Seit vielen, vielen Jahren steigen insbesondere in den Ballungsräumen die Bau- und Mietpreise schier unaufhaltsam in schwindelerregende Höhen, in vielen Städten können sich Normalverdiener keine angemessene Wohnung mehr leisten. Weder zur Miete noch als Eigentum. Man hat den keineswegs unberechtigten Eindruck: Wohnungen gibt es bloß noch für Besserverdienende, was natürlich einen sozialen Sprengstoff ohnegleichen darstellt, denn Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Das Statement von Bundesbauministerin Klara Geywitz zu den Zahlen des Statistischen Bundesamtes kann man nur noch mit Fassungslosigkeit zur Kenntnis nehmen: "Der Bau bleibt in der Krise stabil." [1] Sie meint es offenbar ernst. Verantwortlich für die geringe Zahl an Neubauwohnungen sind laut Geywitz steigende Zinsen, Materialengpässe und der spürbare Fachkräftemangel. Soll wohl heißen: Da kann man nicht viel machen. Dass das Schreckensszenario (der Rückgang von bis zu 200.000 fertiggestellten Wohneinheiten) nicht eingetreten sei, wertet sie als Erfolg. Geywitz ist offenbar schon mit wenig zufrieden. Solche Euphemismen (die Katastrophe ist weniger schlimm als befürchtet) sind kaum zu ertragen, aber im Politikbetrieb leider üblich. Angesichts der dramatischen Lage müsste sie sagen: "Der Bau bleibt stabil in der Krise." Bedeutet: Die Krise hört in absehbarer Zeit nicht auf. 700.000 Wohnungen sollen in Deutschland fehlen. Man darf daran erinnern, dass 1973 unter Willy Brandt 714.000 Wohnungen errichtet wurden. In einem einzigen Jahr! In der sozialliberalen Koalition wurden in 13 Jahren (zwischen 1970 und 1982) insgesamt 6,1 Millionen Wohnungen gebaut. 6,1 Millionen! Und das bloß in Westdeutschland! Zum Vergleich: Unter der früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel waren es in 16 Jahren (zwischen 2006 und 2021) im viel größer gewordenen Deutschland nur 3,8 Millionen. In keinem Jahr wurden unter Merkel mehr Wohnungen gebaut als im schwächsten Jahr der sozialliberalen Koalition. [2] Es ist nicht nachzuvollziehen: Warum scheitert unser inzwischen viel reicheres Land daran, auch nur annähernd an Willy Brandts Leistung heranzukommen? (Das reale Bruttoinlandsprodukt ist in den alten Bundesländern zwischen 1970 und 1991 um 76 % und in Gesamtdeutschland zwischen 1991 und 2022 noch einmal um 47 % gestiegen.) Ein bisschen Bauförderung hier, eine wenig wirksame Mietpreisbremse dort, so soll es offenbar nach dem Willen der Bundesregierung weitergehen. Doch warum doktert sie nur in zunehmendem Maße hilflos an den Symptomen herum, anstatt endlich das Übel an der Wurzel zu packen? Mit großem Interesse habe ich die kürzlich erschienene Neuauflage des Buches "Mehr Gerechtigkeit!" vom früheren SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen Vogel gelesen. Der 2020 verstorbene Politiker hat sich in seinem bewegten Leben schon in seiner Zeit als Münchner Oberbürgermeister mit der Wohnungsnot befasst. Doch Vogels Vorschläge für eine gerechtere und wirksamere Bauordnung wurden nie in vollem Umfang aufgegriffen, vermutlich weil sie den Interessen der Wohlhabenden zuwiderliefen, denn von hohen Bodenpreisen und Mieteinnahmen profitiert nur eine kleine, aber einflussreiche Minderheit. In seiner Heimatstadt München ist der Preis für Bauland zwischen 1950 und 2015 um wahnwitzige 36.382 Prozent gestiegen (von 3,07 € auf 1.120 € pro Quadratmeter). [3] Der überwiegende Teil der Gesamtkosten im Münchner Wohnungsbau fällt mittlerweile auf den Erwerb der dafür notwendige Grundstücke. Wenn die von Vogel auf Seite 48 angeführte Zahl korrekt ist, betrug der Baulandkostenanteil im Jahr 2018 satte 79,15 Prozent. Und wenn das tatsächlich stimmt, warum setzt die Politik dann nicht beim größten Preistreiber an? Steigende Zinsen, Materialengpässe und der Fachkräftemangel sind offenbar nicht das zentrale Hindernis beim Wohnungsbau, sondern vielmehr die Bodenspekulation. Vogel weist zu Recht darauf hin, dass Boden, anders als andere Güter, unproduzierbar und daher keine beliebige Ware ist, aber dennoch Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen. Aufgrund der hohen Bedeutung des Wohnens für die Menschen schlägt er daher folgende Maßnahmen zur Neuordnung des Bodenrechts vor:
Das Buch von Hans-Jochen Vogel ist eine lohnenswerte Lektüre, es müsste der Politik als Richtschnur dienen, die Wohnungsnot ist nämlich nur noch mit tiefgreifenden Maßnahmen zu bekämpfen. Wenn sie auch künftig im Wesentlichen durch kosmetische, faktisch unwirksame Maßnahmen angegangen wird, führt das unweigerlich zur sozialen Explosion. Bleiben die ökonomischen Probleme vieler Bürgerinnen und Bürger weiterhin ungelöst, schadet das letztlich der ganzen Gesellschaft. Dass die Menschen mit der Demokratie zunehmend unzufrieden sind, liegt nicht an einer generellen Ablehnung der Demokratie, sondern daran, dass ihre Interessen unzureichend berücksichtigt werden. Wenn eine Minderheit von explodierenden Mieteinnahmen und Immobilienpreisen profitiert, während die Mehrheit einen immer höheren Anteil des Einkommens für die Miete aufwenden oder lange Anfahrtswege in Kauf nehmen muss, läuft etwas gewaltig schief in unserem Land. Leider hat die Politik in Deutschland das Ganze jahrzehntelang schleifen lassen. So kann und darf es nicht weitergehen. ----------
[1]
Bundesministerium für Wohnen,
Stadtentwicklung und Bauwesen, Pressemitteilung vom
23.05.2023
[2]
Statistisches Bundesamt, Bauen und
Wohnen, Baugenehmigungen / Baufertigstellungen, 4.1
Fertiggestellte Wohnungen in Wohn- und Nichtwohngebäuden
insgesamt nach Bundesländern, PDF-Datei mit 915 KB, bestes
Jahr unter Merkel war 2020 mit 306.376 fertiggestellten
Wohnungen, schlechtestes Jahr der sozialliberalen Koalition
war 1982 mit 347.002 Wohnungen
[3]
Albert Fittkau, Leiter des Münchner Gutachterausschusses, in
BR24 vom 06.02.2020, die von Vogel im
Buch genannte Steigerungsrate ist nicht ganz richtig, worauf
aber in einer Fußnote hingewiesen wird
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