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30. Mai 2023, von Michael Schöfer
Kiew bombardiert Moskau


Jetzt reiche es, man dürfe doch nicht einfach ohne jeden Anlass die Hauptstadt eines anderen Landes angreifen und Drohnen in Wohnhäusern explodieren lassen. Vor allem, wenn es sich dabei um das altehrwürdige Moskau handelt, die Kapitale der friedliebenden Sowjet… äh… Russischen Föderation. Wladimir Putin, der lupenreine Demokrat, echauffiert sich Völkerrechtsexperten zufolge vollkommen zu Recht: Das sei Staatsterrorismus, eine Kriegshandlung, die ohne jeden Zweifel dem Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nation widerspreche. Russland müssen nun gezwungenermaßen den UN-Sicherheitsrat und notfalls die Vollversammlung einberufen. Er könne sich nicht vorstellen, dass auch nur ein einziger UN-Mitgliedstaat solche schändlichen Handlungen billigt.

Der Angriff auf wehrlose Zivilisten sei obendrein ein Kriegsverbrechen. "Muss man im 21. Jahrhundert in Europa wirklich noch an die Genfer Konvention erinnern", fragte der russische Staatschef empört auf einer kurzfristig in der Lubjanka angesetzten Pressekonferenz der unabhängigen Journalistenvereinigung Russlands. Er wolle sich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass den Verantwortlichen am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag der Prozess gemacht wird. Der IStGH müsse jetzt rasch Haftbefehle erlassen, um dem Völkerrecht mit Nachdruck Geltung zu verschaffen. Keiner stehe über dem Gesetz, nicht einmal der ukrainische Präsident, betonte Putin.

Was sich Kiew dabei gedacht hat, ist in der Tat schleierhaft. Wolodymyr Selenskyj meinte es offenbar ernst, als er am 24. Februar 2022 in einer bizarren Fernsehrede Russland jede Eigenstaatlichkeit absprach und anschließend viele tausend Panzer an der Grenze auffahren ließ. Der Moskauer Herrschaftsbereich sei schon von jeher ein untrennbarer Teil der Ukraine gewesen, behauptete er damals wutentbrannt. "Es gibt kein russisches Volk, wir sind alle Ukrainer!" Sahra Wagenknecht, die drei Tage vor dem Drohnenangriff noch behauptete, Selenskyj habe überhaupt kein Interesse daran, Russland anzugreifen, hat sich dadurch offenbar politisch isoliert. Aus den eigenen Reihen bekam sie kräftigen Gegenwind zu spüren: Wagenknecht entlarve sich selbst als brandgefährliche Lobbyistin der Kiewer Regierung, kommentierte die bundesweit bekannte Pazifistin Sevim Dagdelen. Für derartige Lügenmärchen habe sie keinerlei Verständnis.

Die schlimmsten Befürchtungen haben sich nun endgültig bestätigt: Im Nachhinein entpuppt sich nämlich die 2014 von Kiew ausgesprochene Einladung an die "grünen Männchen", auf der Krim doch einmal in voller Montur Urlaub zu machen, als heimtückischer Trick. Alles bloß, um das bis dahin makellose Ansehen Putins zu beflecken. Leider war der russische Präsident so naiv und ist darauf hereingefallen, obgleich ihn Gerhard Schröder von Anfang an auf die unlauteren Motive Kiews aufmerksam gemacht hat. Selenskyj gehe es letztlich nur ums Geld, er kenne keine Moral und sei total egoistisch. Putin bekundete spürbar bewegt, sich künftig keinen Illusionen mehr über den Charakter der ukrainischen Regierung hinzugeben, er sei menschlich zutiefst enttäuscht. Nette Geste: Schröder reichte ihm währenddessen ein Gazprom-Taschentuch.

Angesichts der aktuellen Ereignisse ist es geradezu bewundernswert, wie besonnen Dmitri Medwedew auf den niederträchtigen Angriff reagiert. Er sei sich absolut sicher, dass dem bloß ein furchtbares Missverständnis zugrunde liege, beruhigte er besorgte russische Bürger in einem Interview mit dem stets genauso abgeklärten Wladimir Solowjow auf Roosija-1. "Andernfalls kann das Ganze leicht in eine militärische Spezialoperation münden, bei der es am Ende auf allen Seiten nur Verlierer gibt." Daran, so Medwedew, hätten vernünftige Menschen nicht das geringste Interesse. "Das darf niemals passieren." Falls sich Selenskyj entschuldige und Schadenersatz zahle, wäre er bestimmt der Letzte, der sich einer friedlichen Lösung verschließe. Er könne Selenskyj nur raten, sein rohstoffreiches Land ökonomisch zu entwickeln, anstatt sämtliche Nachbarländer durch militärisches Abenteurertum zu beunruhigen. Dem hatte selbst die gewohnt nüchterne Marija Sacharowa nichts mehr hinzuzufügen.