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05. Juni 2023, von Michael Schöfer
Genau das ist die Misere der Politik


Dass die stark steigenden Mieten viele Menschen enorm belasten, ist keine neue Erkenntnis. Was fehlt, sind wirksame Maßnahmen gegen den Mietenwahnsinn. Doch am Beispiel der Indexmieten (Mieten, deren Steigerung an die Entwicklung des Verbraucherpreisindex gekoppelt ist) zeigt sich die ganze Misere bundesdeutscher Politik. Bei keiner der im Bundestag vertretenen Parteien findet man Wort "Indexmiete" im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021. Wenig verwunderlich, das Problem spielte in der Vergangenheit eine vernachlässigbare Rolle, wurde aber durch die ungewöhnlich hohe Inflation mit einem Schlag brisant. Bislang hatte diese Form der Mietverträge einen geringen Anteil, laut Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten sind aber mittlerweile in den Metropolen 30 Prozent der Neuverträge Indexmietverträge, in Berlin sogar 70 Prozent. [1]

Zynismus hoch drei: Das Ausnutzen des Wohnraummangels läuft hierzulande unter der Rubrik "Vertragsfreiheit", Wohnungssuchende werden schließlich zu nichts gezwungen und dürfen sich gerne eine andere Bleibe suchen, falls ihnen die vom Vermieter vorgeschlagene Indexmiete nicht zusagt. Obgleich das Problem den Wohnungssuchenden unter den Nägeln brennt, sieht sich die Politik außerstande, es in ihrem Sinne zu lösen. Von der generellen Eindämmung der Mietenexplosion ganz zu schweigen.

Der Vorstoß Hamburgs im Bundesrat, Indexmieten auf 3,5 Prozent zu deckeln, fand im Dezember 2022 wegen fehlender Zustimmung aus den Reihen der Union nicht die notwendige Mehrheit. [2] Kurz zuvor war auch ein im Juli 2022 eingebrachter Antrag der Linken, Mietanpassungen von Indexmieten zu untersagen, im Bundestag gescheitert. [3] Doch jetzt kommt scheinbar Bewegung in die Sache: "Diese Indexmieten sind eine regelrechte Pest auf dem Mietmarkt", beklagt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. [4] Wenige Tage vorher schlug CDU-Generalsekretär Mario Czaja vor, die Anwendung von Indexmietverträgen zumindest bei Neuvermietungen auszusetzen (was freilich den Mietern, die bereits einen Indexmietvertrag haben, wenig hilft). [5]

Die Hoffnung der Betroffenen, das Ende der Indexmieten sei absehbar, wird jedoch enttäuscht. Warum eigentlich? Die SPD ist gegen Indexmieten, die Grünen sind gegen Indexmieten, die Linke sowieso, neuerdings sogar - mit besagter Einschränkung - die Union, da müsste doch im Grunde die parlamentarische Mehrheit garantiert sein. Ist sie aber nicht, denn die kleinste Regierungspartei stellt sich beharrlich quer. "Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat sich gegen gesetzliche Änderungen bei sogenannten Indexmietverträgen ausgesprochen. Er sehe bei dem Thema keinen 'unmittelbaren Regulierungsbedarf'." [6]

Bleibt die FDP hart, war es das mit der Abschaffung/Aussetzung der Indexmieten, denn dann greift der Koalitionsvertrag, und der sagt ganz zum Schluss: "Im Deutschen Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen." Obgleich es also im Bundestag zumindest für die Aussetzung der Indexmieten eine überwältigende Zwei-Drittel-Mehrheit gäbe, scheitert das Ganze am Widerstand einer - laut Wahlergebnis der BTW 2021 - 11,5-Prozent-Partei. Um die Ampelkoalition nicht zu gefährden, werden SPD und Grüne keinesfalls gegen die FDP stimmen, selbst wenn sie in puncto Indexmietverträge aufgrund der Zustimmung signalisierenden Union rein rechnerisch gar nicht auf die Liberalen angewiesen wären. So funktioniert "repräsentative" Politik in Deutschland: Der Schwanz wedelt mit dem Hund. Jedenfalls im Deutschen Bundestag.

Und die AfD, die sich gerne als Vertreter des sogenannten "kleinen Mannes" aufspielt? Recherchiert man auf deren Website mit "Indexmiete" oder "Indexmieten", heißt es dort: "Leider konnten wir nicht finden wonach Sie suchen!" Als Partei überhaupt keine Meinung zu einem wichtigen Problem zu haben, ist ziemlich armselig. Nichtsdestotrotz hat sie im Bundestag den oben erwähnten Antrag der Linken gemeinsam mit der Union abgelehnt. [7] Sie zeigt eben in der parlamentarischen Praxis, auf welcher Seite sie wirklich steht.

Indexmietverträge sind bei der gründlich misslungenen Wohnungspolitik der vergangenen Jahrzehnte nur ein Aspekt unter vielen. [8] Dennoch lässt die Politik die Menschen weiter im Regen stehen und beschränkt sich auf kosmetische Eingriffe. Alles andere würde liebgewonnene Besitzstände antasten, und dazu haben die meisten Parteien weder den Mut noch den Willen. Doch selbst wenn es anders wäre, der Widerstand einer Kleinpartei genügt vollkommen, um grundlegende Änderungen beim Mietrecht und beim Wohnungsbau zu blockieren. Nun, der Partei der sozialen Kälte kann es egal sein.

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[1] manager-magazin vom 17.02.2023
[2] Haufe vom 19.12.2022
[3] Deutscher Bundestag vom 10.11.2022, Bundestag stimmt für Erhöhung des Wohngeldes
[4] Berliner Morgenpost vom 22.04.2023
[5] t-online vom 20.04.2023
[6] BR vom 08.02.2023
[7] Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 20/66, Stenografischer Bericht vom 10.11.2022, Seite 7550, PDF-Datei mit 2,5 MB
[8] siehe So kann und darf es nicht weitergehen vom 27.05.2023