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15. Juni 2023, von Michael Schöfer
Viel Wasser auf die Mühlen der Demokratiefeinde


"Die Wohnungsgesellschaft GAG Immobilien AG, die sich größtenteils im Besitz der Stadt Köln befindet, erhöht zum 1. August die Kaltmiete für 1041 frei finanzierte Wohnungen (...). Bei 292 dieser Wohnungen nutzt die GAG den gesetzlichen Rahmen voll aus und erhöht die Miete um 15 Prozent." [1] Vollkommen irre, selbst wenn es absolut legal sein sollte. Der Pforzheimer Mietspiegel 2023 hat sich im Vergleich zum Mietspiegel 2021 durchschnittlich um 7,8 Prozent erhöht. [2] In München waren es sogar horrende 21 Prozent. [3] Solche Mieterhöhungen können bloß noch Vorstandschefs großer Unternehmen verkraften, aber die wohnen im Gegensatz zu Krankenschwestern selten in Mietwohnungen.



Wohlgemerkt: Es handelt sich hierbei um die Bestandsmieten, nicht um die Angebotsmieten für Wohnungssuchende. Die Steigerungsraten der Angebotsmieten fallen noch viel, viel höher aus. Letztere stiegen beispielsweise in Berlin innerhalb von drei Monaten um erschreckende 27 Prozent. [4] Angebot und Nachfrage - der ganz normale Mietenwahn also.

Und was tut die Politik? Von der Bereitschaft, die Indexmieten einzudämmen, ist nichts mehr zu hören. [5] Das gewohnte Blabla eben. Nun wird eine andere Sau durchs Dorf getrieben. Offenbar war die Blockade der FDP erfolgreich. Die Partei der sozialen Kälte blockiert anscheinend auch die Verlängerung der (ohnehin weitgehend unwirksamen) Mietpreisbremse und die Absenkung der Kappungsgrenzen. [6] Zeitenwende? Nicht für Mieter!

Beim Wohnungsbau sieht es ziemlich düster aus, an grundlegende Reformen, wie etwa die schon vor Jahren von Hans-Jochen Vogel (1926 - 2020) vorgeschlagene Änderung des Bodenrechts [7], trauen sich die Politiker nicht ran, weil sie dazu in Besitzstände eingreifen müssten. Explodierende Indexmieten, die lukrative Vermietung von sündhaft teuren möblierten Wohnungen und steigende Eigenbedarfskündigungen korrespondieren mit einem leergefegten Wohnungsmarkt. Wo die Not groß ist, sind die Halsabschneider erfahrungsgemäß nicht weit. Und immer mehr wohnungslose Familien leben - in einem der reichsten Länder der Welt - unfreiwillig in Notunterkünften. [8]

Ich weiß nicht, wohin das noch führen wird. Aber ich weiß, dass die Wut der Menschen ständig steigt. Sie fühlen sich dem Mietenwahn hilflos ausgeliefert, während die gewählten Volksvertreter bloß ihren üblichen parteitaktischen Spielchen nachzugehen scheinen. Mehr als Phrasen hört man von dort jedenfalls nicht. Die Wählerinnen und Wähler werden mit dem mantraartigen Verkünden von unrealistischen Zielen umgarnt, in Wahrheit bleiben die Verantwortlichen größtenteils untätig, starren nur wie gelähmt auf die immer miserableren Daten des Wohnungsmarktes.

Von daher ist es wenig verwunderlich, wenn hierzulande eine Mehrheit mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden ist. Angesichts der sozialen Schieflage muss man sagen: vollkommen zu Recht. Den reichsten 10 Prozent der privaten Haushalte gehören 56 Prozent des gesamten Nettovermögens, die ärmeren 50 Prozent müssen sich mit mageren 3 Prozent begnügen (Stand 2021). [9]



Am schlimmsten ist, dass dieser skandalöse Zustand viel Wasser auf die Mühlen der Demokratiefeinde schaufelt, aber das war den Vermögenden und Besitzstandswahrern bekanntlich schon von jeher egal. In den Villenvororten ist in der Tat von Verzweiflung nichts zu spüren. Die Tragik ist, dass wir keine seriöse Partei haben, die dieses Problem ernsthaft anzugehen bereit ist, denn weder Die Linke noch die AfD sind wählbare Alternativen. Wäre das Leben ein Bühnenstück, würde man sich köstlich amüsieren. Leider ist es die bittere Realität.

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[1] Kölnische Rundschau vom 14.06.2023
[2] PF-BITS vom 03.04.2023
[3] tz vom 08.03.2023
[4] Der Tagesspiegel vom 08.03.2023
[5] siehe Genau das ist die Misere der Politik vom 05.06.2023
[6] Berliner Morgenpost vom 14.06.2023
[7] siehe So kann und darf es nicht weitergehen vom 27.05.2023
[8] Süddeutsche vom 02.12.2022
[9] Deutsche Bundesbank vom 24.04.2023, Monatsbericht: Vermögen in Deutschland sind deutlich gestiegen