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18. Juni 2023, von Michael Schöfer
Eine reife Leistung, sich so verbiegen zu können


Die Grünen sind Profis und Dilettanten zugleich. Dilettantisch war, dass sie sich Ende März beim 30-stündigen Koalitionsausschuss über den Tisch ziehen ließen. Die FDP setzte die Aufweichung des Klimaschutzgesetzes durch, was für die Grünen eigentlich ein absolutes No-Go hätte sein müssen. Die Sektorziele waren nämlich der zentrale Punkt des Gesetzes, die frühere Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat in der Großen Koalition lange für sie gekämpft. Gegen den hartnäckigen Widerstand der Union, Schulze hat sich dennoch durchgesetzt.

Die FDP war auch bei der von ihr gewünschten Lebensverlängerung des Verbrenner-Motors erfolgreich, sofern dieser mit E-Fuels betrieben wird. Stichwort Technologieoffenheit (die aber in der Praxis kaum relevant sein dürfte). Obendrein will die Bundesregierung nun 144 Autobahn-Projekte durch weniger aufwendige Umweltschutzprüfungen beschleunigen. Ausgerechnet Autobahnen! Super! Kein Wunder, dass Porsche-Fahrer Christian Lindner mit dem Ergebnis hochzufrieden war und seinen Triumph erkennbar auskostete. Okay, die Bahn bekommt mehr Geld, was durch eine höhere LKW-Maut finanziert wird. Es tut der Seele eben gut, wenn sie wenigstens ab und zu ein bisschen gestreichelt wird. Und die FDP ist durchaus bereit, zu diesem Zweck den Grünen gelegentlich ein Bonbon hinzuwerfen, schließlich sind Liberale keine Unmenschen.

Was haben die Grünen dafür bekommen? Im Wesentlichen die Zustimmung zum Heizungsgesetz, die die FDP aber anschließend kaltlächelnd wieder zurückzog. Unter großem Tamtam spielten sich die Liberalen in den Wochen danach als Opposition innerhalb der Regierung auf, Robert Habeck musste einmal mehr zurückstecken. Die FDP triumphierte erneut. Schlimmer, sie führt die Grünen dabei auch noch nach allen Regeln der Kunst vor. Und die lassen es mit sich geschehen. Himmel-Herrgott-Sakrament-Kruzifix-Halleluja-verdammt-nochamoi. Warum? Wenig hilfreich waren ferner die handwerklichen Mängel des Gesetzentwurfs, der viele Fragen offenließ. Wer ungeschützt die Flanken präsentiert, braucht sich über gezielte Hiebe des politischen Gegners nicht zu wundern.

Man hätte sich gewünscht, dass die Grünen einmal konsequent Nein sagen und dann kompromisslos dabei bleiben, anstatt bloß sichtlich angefasst den Wortbruch des Koalitionspartners zu beklagen. Die FDP tut es ja auch und hat bei dieser Taktik keine Skrupel. Im Gegenteil, sie wird durch die Ergebnisse immer wieder dafür belohnt, das ständige Einknicken der Grünen setzt daher völlig falsche Anreize. Am Ende bleibt stets der Eindruck zurück, dass die Liberalen die großen Gewinner und die Grünen die großen Verlierer sind.

Eingeknickt sind die Grünen auch bei der EU-Asylrechtsverschärfung (Haftzentren an den EU-Außengrenzen, Schnellverfahren, leichtere Abschiebungen etc.), die ihren Grundsätzen diametral widerspricht. Die Grünen haben bei dem angeblichen "Kompromiss" genau dem Gegenteil dessen zugestimmt, was in ihrem Wahlprogramm steht. Eine reife Leistung, sich so verbiegen zu können. Das hat in dieser Form zuletzt ein gewisser Gerhard Schröder mit seiner Agenda-Politik hinbekommen, der nachfolgende Niedergang der SPD beim Wählerzuspruch ist hinlänglich bekannt.

So weit zum Dilettantismus. Professionell war zumindest, wie die Grünen beim kleinen Parteitag im hessischen Bad Vilbel ihre Anhänger veräppelten. Gewiss, man krümmt sich demonstrativ ein bisschen wegen den politischen Bauchschmerzen, die viele Parteimitglieder mit der EU-Asylrechtsverschärfung haben. Aber am Ende schließen sie trotzdem wieder die Reihen hinter Annalena Baerbock. Die Außenministerin beteuert zwar, sich die Zustimmung nicht leicht gemacht zu haben, aber sie habe dadurch Schlimmeres verhindert. Das berühmt-berüchtigte kleinere Übel.

Baerbock suggeriert, auf EU-Ebene noch Verbesserungen für Familien mit Kindern herausholen zu können. "Wir wollen ein effektives Menschenrechtsmonitoring an den Außengrenzen und eine verbindliche Verteilung in den Mitgliedsstaaten. Dafür werden wir in enger Abstimmung zwischen Europafraktion, Bundestagsfraktion, Bundespartei und Regierungsmitgliedern kämpfen. Auch das Ergebnis werden wir gemeinsam bewerten", heißt es in dem beschlossenen Antrag. [1] Doch genau besehen ist das bloß substanzloses Blabla zur Beruhigung des geneigten Publikums. Irgendetwas muss man ja sagen, wenn man als Partei gerade Mist gebaut hat, wie etwa die energisch klingende "enge Abstimmung". Das soll Hoffnung machen, aber im Grunde weiß jeder, dass nichts dabei herauskommt. Von den Anhängern werden das allerdings nur die wenigsten bemerken.

Baerbock erweckt den Eindruck, als würde sich das große Europa nach der Zustimmung noch um die Probleme einer kleinen 14,8-Prozent-Partei in Deutschland kümmern, als gäbe es auf EU-Ebene tatsächlich noch etwas zu gewinnen. Dass die Grünen immer einknicken, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. Die Sache ist wohl endgültig durch, alles andere wäre eine faustdicke Überraschung. "Wir verändern Deutschland", rief Robert Habeck in Bad Vilbel. Aber man hat den Eindruck, dass sich momentan vor allem die Grünen verändern. Und das nicht zu ihrem Besten, wie man leider hinzufügen muss.

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[1] Die Grünen, Beschluss "Für eine moderne und menschenrechtsorientierte Migrationspolitik in Deutschland und der Europäischen Union", PDF-Datei mit 92 KB