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18. Juni 2023, von Michael Schöfer
Dämpfer für die Grünen in Mannheim


Oberbürgermeisterwahlen sind in erster Linie Persönlichkeitswahlen, bei denen die Parteizugehörigkeit eine geringere Rolle spielt. Eine geringere, dennoch ist sie keineswegs irrelevant. Der erste Wahlgang der OB-Wahl in Mannheim sollte den Grünen zumindest zu denken geben, denn sie erhielten dort einen ordentlichen Dämpfer.

Bei der Gemeinderatswahl 2019 waren die Grünen in der einstigen Arbeiterstadt mit 24,4 Prozent die stimmenstärkste Partei, gefolgt von der SPD mit 21,2 Prozent und der CDU mit 19,1 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2021 war es mit 21,1 Prozent der Zweitstimmen immerhin Platz 2 hinter der SPD. (Der CDU machte damals die Maskenaffäre von Nikolas Löbel zu schaffen, der hier CDU-Kreisvorsitzender war.) Die Grünen eroberten 2019 im Gemeinderat zum allerersten Mal in der Stadtgeschichte Platz 1, was natürlich auch die Veränderungen innerhalb der Bevölkerung widerspiegelt.



Gemeinderatswahl Mannheim 2019
Grüne 24,4 %
SPD 21,2 %
CDU 19,1 %

Die heutige OB-Wahl fiel für sie allerdings enttäuschend aus. Raymond Fojkar, der Kandidat der Grünen, kam mit mageren 13,80 Prozent nur auf Platz 3, er konnte keinen einzigen der 17 Stadtbezirke gewinnen. CDU-Kandidat Christian Specht erzielte 45,64 Prozent, SPD-Kandidat Thorsten Riehle erreichte 30,24 Prozent. Da keiner die absolute Mehrheit erzielte, ist am 9. Juli 2023 eine Stichwahl erforderlich.



OB-Wahl Mannheim 2023 (erster Wahlgang)
Christian Specht (CDU) 45,64 %
Thorsten Riehle (SPD) 30,24 %
Raymond Fojkar (Grüne) 13,80 %

Ob Fojkar bloß der falsche Kandidat war oder ob die Politik der Grünen in der Ampelregierung den Ausschlag gab, ist schwer zu sagen. Rückenwind kam aus Berlin jedenfalls keiner. Auch in Mannheim verlieren die Grünen vermutlich auf beiden Seiten: Auf der einen Seite Wählerinnen und Wähler, die jetzt merken, dass Klimaschutz nicht nur cool ist, sondern auch konkrete Zumutungen beinhaltet. Stichwort: Gebäudeenergiegesetz. Auf der anderen Seite Wählerinnen und Wähler, die den Grünen mangelnde Durchsetzungsfähigkeit attestieren und die Preisgabe von Prinzipien beklagen. Stichworte: Klimaschutzgesetz, EU-Asylrechtsverschärfung. Zum Wahlergebnis dürften aber auch lokalpolitische Entscheidungen beigetragen haben, etwa ein umstrittener Verkehrsversuch, bei dem sich Zustimmung und Ablehnung ungefähr die Waage hielten.

Die Kombination aus alldem macht es für die Grünen momentan extrem schwierig, bei Wahlen gute Ergebnisse zu erzielen. Selbst in Hochburgen wie Baden-Württemberg. Schon im Mai 2024 folgen hier die Kommunalwahlen und im Juni 2024 die Europawahl. Bis dahin sollte die Umweltpartei plausible Antworten finden. Wenn die Wählerinnen und Wähler den Eindruck haben, dass sich in der Ampelkoalition vor allem die FDP durchsetzt, wird es für die Grünen brandgefährlich.

Was Anhänger der Grünen verstehen, ist, dass man Kompromisse schließen muss und die eigene Programmatik in einer Koalition natürlich nicht eins zu eins umsetzen kann. Was die Anhänger der Grünen allerdings überhaupt nicht verstehen, ist, dass es bei diesen Kompromissen offenbar keine rote Linien gibt. Wer in Sachfragen mit hoher Bedeutung nicht glaubwürdig sagt, bis hierher und nicht weiter, verspielt Vertrauen. Wahlprogramme dürfen nicht der Beliebigkeit preisgegeben werden. Wem der Geruch der Prinzipienlosigkeit anhaftet, wird bei Wahlen auf keinen grünen Zweig mehr kommen. Eine Redewendung, die buchstäblich für die aktuelle Situation wie gemacht ist.