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21. Juni 2023, von Michael Schöfer
Nur Moralapostel fühlen sich da angewidert

Unternehmen kennen keine Moral, sie kennen nur den Profit. Zusammenarbeit mit Militärdiktaturen? Sklavenarbeit? Menschenrechtsverletzungen? Alles kein Problem, solange es nicht an die Öffentlichkeit kommt und die Profite beeinträchtigt. Und wenn das Unvermeidliche doch passiert: abstreiten, abstreiten, abstreiten. Ein altbekanntes Muster, in jahrzehntelanger Praxis erprobt und bewährt. Leider sind Unternehmen lernresistent: Eine Fabrik in Xinjiang? Keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen! Transparenz? Lieber ein andermal! Berichte über Umerziehungslager? Nehmen wir ernst und sind tief besorgt! Aha, dann ist ja alles gut.

China ist für Deutschland neuerdings "Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale", zumindest Peking gegenüber will man nicht so naiv sein wie gegenüber Moskau. Nicht mehr! Schließlich sind die Drohungen der Volksrepublik, sich das demokratische Taiwan mit Gewalt einzuverleiben, recht massiv. Und sie werden immer massiver. Im Südchinesischen Meer demonstrieren die chinesischen Machthaber obendrein, was sie vom Völkerrecht halten: Nichts, sie pfeifen darauf. Auch auf das Urteil des Schiedsgerichts in Den Haag. Das totalitäre Regime ist deshalb eine Gefahr für die Sicherheit aller.

Manche Unternehmen seien vorsichtig geworden und würden Investitionen in China überdenken oder sogar bereits in andere Länder verlagern. Das gilt offenbar nicht für einige deutsche Mittelständler. "Eine kleine Zahl unbeugsamer Mittelständler glaubt weiter an das Potenzial des Marktes und wagt den Sprung von der deutschen Provinz ins Reich der Mitte. Von der deutschen Politik fühlen sie sich im Stich gelassen. Sie haben eine klare Botschaft nach Berlin, wo sich am Dienstag Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit dem chinesischen Regierungschef Li Qiang und zahlreichen Ministern zu Konsultationen trifft: Vertragt euch und lasst uns weiter Geld verdienen." Natürlich sei man über die wachsenden Spannungen zwischen Peking und dem Westen besorgt, doch wir sollten "im Umgang mit China wieder beginnen, wirtschaftliche Interessen über politische Ideologie zu stellen", wird der Geschäftsführer eines Unternehmens zitiert. Man brauche keine Belehrungen aus Berlin, höchstens Subventionen. Diese Einstellung sei repräsentativ für weite Teile der deutschen Unternehmen, bestätigt Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). [1]

Unglaublich! Hier werden abermals sämtliche Vorurteile über den Kapitalismus bestätigt: Menschenrechte? Eigentlich irrelevant und bloß politische Ideologie. Kriegsgefahr? Wir sind besorgt, aber nur, weil dadurch unsere Profite gefährdet sind. (Die Gefahren für die Taiwanesen werden in die Berechnung offenbar gar nicht einbezogen.) Der Staat soll sich gefälligst aus der Wirtschaft heraushalten, Steuergeld nehmen wir natürlich trotzdem gerne. Geht's eigentlich noch dümmer, gieriger und menschenverachtender? Da ist sie wieder, die hässliche Fratze des Kapitalisten, der keinerlei Moral kennt. Oh, gewiss, zu Hause sind sie bestimmt fürsorgliche Familienväter, den eigenen Kindern soll es schließlich an nichts fehlen.

Totalitäre Diktaturen und Unternehmen gehen gerne Hand in Hand. Endlich Profite machen ohne diesen lästigen Menschenrechtsquatsch! Gewerkschaften, Mitbestimmung, Betriebsräte? Brauchen wir das wirklich? Und sind Arbeitsschutzgesetze nicht eher produktionshemmend? Es ist immer das gleiche Muster: Auch während der Nazi-Diktatur hatten Unternehmen bekanntlich selten Skrupel, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge einzusetzen. Eine gewisse "Fluktuation" (Schwund der Belegschaft durch Tod) sei hierbei von vornherein einkalkuliert gewesen. Nichts daraus gelernt? Money makes the world go round! Nur Moralapostel fühlen sich da angewidert! Genau.

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[1] Süddeutsche vom 20.06.2023