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24. Juli 2023, von Michael Schöfer
Die Brandmauer zur AfD bröckelt


"Meiner Ansicht nach wird Friedrich Merz von seinen Anhängern überschätzt. Vielleicht überschätzt er sich auch selbst", habe ich vor drei Jahren geschrieben. [1] Das scheint sich nun zu bewahrheiten. Definitiv überschätzt hat sich Merz bei seiner Aussage im Jahr 2018, damals kandidierte er zum ersten Mal für den CDU-Parteivorsitz. Er würde sich als Parteivorsitzender zutrauen, den Wählerzuspruch der AfD wieder zu halbieren, verkündete Merz vollmundig. Im Dezember 2018 lag die AfD in Umfragen - je nach Institut - zwischen 12 und 15 Prozent, aktuell liegt sie zwischen 20 und 22 Prozent. Wie er später beteuerte, würde er diesen Satz nicht mehr wiederholen. Gewählt wurde 2018 übrigens eine gewisse Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz übernahm erst im Januar 2022 nach dem dritten Anlauf das Amt des CDU-Parteivorsitzenden.

Nicht ohne sich sogleich erneut weit aus dem Fenster zu lehnen: "Mit mir wird es eine Brandmauer zur AfD geben. Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an." [2] So weit, so gut. Doch die Halbwertszeit von Merz' vollmundigen Aussagen wird immer kürzer, denn jetzt hat er seine Ankündigung zumindest teilweise wieder zurückgenommen.

"Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat nach den jüngsten Wahlerfolgen der AfD auf kommunaler Ebene klargestellt, dass es hier auch zu Kooperationen mit seiner Partei kommen kann. In Thüringen, im Landkreis Sonneberg, sei nun ein Landrat von der AfD gewählt worden. 'Natürlich muss dann in den Kommunalparlamenten nach Wegen gesucht werden, wie man die Stadt, den Landkreis gestaltet', betonte Merz (...) im ZDF. Das Verbot einer Zusammenarbeit beziehe sich 'auf gesetzgebende Körperschaften, das betrifft übrigens auch das europäische Parlament, den Bundestag, den Landtag.'" [3] Ist Merz von allen guten Geistern verlassen? So hat er das 2021 nicht gesagt, und so wurde es seinerzeit auch nicht verstanden.

Der CDU-Vorsitzende erntet aus den eigenen Reihen heftigen Widerspruch.
  • Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner: "Die AfD kennt nur Dagegen und Spaltung. Wo soll es da Zusammenarbeit geben? Die CDU kann, will und wird nicht mit einer Partei zusammenarbeiten, deren Geschäftsmodell Hass, Spaltung und Ausgrenzung ist."
  • Yvonne Magwas, Vizepräsidentin des Bundestages: "Ob Ortschaftsrat oder Bundestag, rechtsradikal bleibt rechtsradikal. Für Christdemokraten sind Rechtsradikale immer Feind!"
  • Annette Widmann-Mauz, Bundesvorsitzende der Frauen Union: "Die Partei u. ihre menschenverachtenden & demokratiefeindlichen Inhalte bleiben die gleichen, egal auf welcher Ebene."
  • Jan-Marco Luczak, CDU-Bundestagsabgeordneter: "Der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU ist eindeutig."
  • Bundesvorstandsmitglied Serap Güler: "Keine Zusammenarbeit mit der AfD heißt: keine Zusammenarbeit mit der AfD. Auf keiner Ebene. Ganz einfach. Jetzt nicht und auch in Zukunft nicht." [4]
Die Brandmauer, sie bröckelt dennoch. Mit jeder unbedachten Äußerung von Friedrich Merz umso mehr. Der CDU-Vorsitzende irrlichtert offenbar orientierungslos durch die bundespolitische Landschaft. Dabei müsste ihm Deutschlands Geschichte klar und deutlich den Weg weisen: Es kann und darf keine Zusammenarbeit mit den Feinden der Demokratie geben. Die NSDAP hatte in landesweiten Wahlen nie eine parlamentarische Mehrheit, bei der vor Hitlers Machtübernahme letzten freien Reichstagswahl im November 1932 wurde sie zwar mit 33,1 Prozent stärkste Partei, kam aber damit im Reichstag nur auf 196 von insgesamt 584 Sitzen. Es bestand daher überhaupt keine Notwendigkeit, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Dass er es im Januar 1933 dennoch wurde, ist u.a. dem konservativen Zentrumspolitiker Franz von Papen, dem Steigbügelhalter Hitlers, zu verdanken. Er glaubte, Hitler für seine Zwecke instrumentalisieren und in der Regierung kontrollieren zu können. Ausschlaggebend war also die fehlende Brandmauer auf Seiten des bürgerlichen Lagers. Der Rest ist Geschichte.

Friedrich Merz verkäme zur tragischen Figur, wenn er der AfD aus fadenscheinigen Gründen heraus peu à peu Reputation verschaffen würde. Den Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei hat er bereits aufgeweicht (obgleich ihm dafür die Kompetenz fehlt), seine Drohung mit einem Parteiausschlussverfahren ist anscheinend obsolet. Was folgt dann 2024 nach den nächsten Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen? Der CDU-Vorsitzende ist drauf und dran, den letzten Rest seiner Glaubwürdigkeit zu verspielen. Die Brandmauer, sie bröckelt. Und man kann nur hoffen, dass die Konservativen nicht abermals bei der Abwehr der Rechten versagen. Wenn die Demokraten nicht ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit zusammenstehen, könnte das für Deutschland ein weiteres Mal böse enden.

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[1] siehe Das Kandidaten-Schaulaufen vom 15.02.2020
[2] Spiegel-Online vom 23.12.2021
[3] Süddeutsche vom 23.07.2023
[4] tagesschau.de vom 24.07.2023