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30. Juli 2023, von Michael Schöfer
Problembären


Die Grünen hatten einst bei ihrer Gründung zwei Prinzipien, die die Politik zu verändern versprachen:
a) die Verhinderung von Ämterhäufung (gleichzeitige Vorstandstätigkeit auf Kreis-, Landes- und Bundesebene sowie die gemeinsame Wahrnehmung von Amt und Mandat)
und
b) die zeitliche Begrenzung politischer Ämter auf höchstens zwei Amtsperioden. [1]

Beides wurde aber mit der Zeit aufgeweicht bzw. abgeschafft, schnell etablierte sich auch bei den Grünen der ursprünglich verpönte Typ des Berufspolitikers. Renate Künast beispielsweise war von 1985 bis 1987 und von 1989 bis 2000 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, von 2000 bis 2001 Parteivorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen und von 2001 bis 2005 Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Seit 2002 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestages und dürfte ihm voraussichtlich bis 2025 angehören. Ob sie dann als 70-Jährige noch einmal antritt, bleibt abzuwarten. "Politik begleitet mich mein Leben lang", steht auf ihrer Website.

Wenn sich das Prinzip der zeitlichen Begrenzung von politischen Ämtern überall durchgesetzt hätte, wären uns etliche Problembären erspart geblieben.

Noch lebende und amtierende Langzeitherrscher:

Türkei: Recep Tayyip Erdoğan
(Ministerpräsident 2003 bis 2014, Staatspräsident seit 2014)
Israel: Benjamin Netanjahu
(Ministerpräsident 1996 bis 1999, 2013 bis 2021 und seit 2022)
Ungarn: Viktor Orbán
(Ministerpräsident 1998 bis 2002 und seit 2010)
VR China: Xi Jinping
(seit 2013 Staatspräsident, neuerdings ohne Amtszeitbegrenzung)
Russland: Wladimir Putin
(Ministerpräsident 1999 bis 2000 und 2008 bis 2012, Präsident 2000 bis 2008 und seit 2012)
Kambodscha: Hun Sen
(Premierminister seit 1985)
Nicaragua: Daniel Ortega
(1979 bis 1985 Vorsitzender der Regierung, Staatspräsident 1985 bis 1990 und seit 2006)
Äquatorialguinea: Teodoro Obiang Nguema Mbasogo
(Staatspräsident seit 1979)
Kamerun: Paul Biya
(Staatspräsident seit 1982)
Uganda: Yoweri Museveni
(Staatspräsident seit 1986)
Eritrea: Isayas Afewerki
(Staatspräsident seit 1993)
Belarus: Alexander Lukaschenko
(Staatspräsident seit 1994)
Ruanda: Paul Kagame
(Staatspräsident seit 2000)
● Syrien: Baschar al-Assad
(Staatspräsident seit 2000)
● Iran: Ali Chamenei
("Oberster Führer" seit 1989)

Typisch für alle Langzeitherrscher ist, dass sie sich offenbar für unersetzlich halten und krampfhaft an der Macht festhalten. Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Justizwillkür, Aushebelung der Gewaltenteilung, Abschaffung der Pressefreiheit, Unterdrückung von Oppositionellen, Wahlfälschungen und Anzettelung von Kriegen oder Bürgerkriegen inklusive. Es sind zudem keineswegs Problembären, die bloß ihr eigenes Volk knechten, vielmehr bedrohen sie mitunter auch die Souveränität der Nachbarländer. Putin und Xi sind hierfür das beste Beispiel. Problembär Donald Trump wäre es fast gelungen, sich nach der Wahlniederlage bei der Präsidentschaftswahl 2020 durch einen Staatsstreich an der Macht zu halten. Es ging gerade noch einmal gut, allerdings nur mit Ach und Krach. Hoffen wir, dass den USA ein zweiter Härtetest ihrer verfassungsmäßigen Ordnung erspart bleibt.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch in Demokratien waren und sind mir Langzeitherrscher (z.B. Helmut Kohl, Angela Merkel, Mark Rutte) zuwider. Die Demokratie braucht den Wechsel wie die Luft zum Atmen. 16 Jahre Helmut Kohl und 16 Jahre Angela Merkel haben Deutschland nicht gutgetan, der gesellschaftliche Stillstand legte sich wie Mehltau über die Republik. Ich halte deshalb eine unwiderrufliche Begrenzung auf zwei Amtszeitperioden generell für sinnvoll, weil sie dem Machtmissbrauch vorbeugt und einem Land durch den turnusmäßigen Machtwechsel neue Impulse bringt. Problembären braucht nämlich niemand. Dass die Problembären das naturgemäß anders sehen, ist irrelevant.

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[1] Die Grünen, Das Bundesprogramm 1980, Seite 29, PDF-Datei mit 8,7 MB