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31. Juli 2023, von Michael Schöfer
Bücherverbrennungen


"Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen", prophezeite einst Heinrich Heine (1797-1856). Keiner weiß das besser als wir Deutschen, weil die Bücherverbrennungen durch die Nazis im Jahr 1933 anschließend in den Vernichtungslagern tatsächlich in die Verbrennung von Menschen mündeten. Bücherverbrennungen waren allerdings bei Autokraten und Fanatikern schon von jeher ein beliebtes Mittel, um Ansichten von Andersdenkenden zu unterdrücken und deren Verbreitung zu verhindern. Sie waren keine Erfindung der Nazis, denn Bücher wurden schon in der Antike verbrannt. In meinen Augen sind Bücherverbrennungen stets ein Akt der kulturellen Barbarei - egal, wo sie stattfinden und was verbrannt wird. Mit den Inhalten von Büchern muss man sich intellektuell auseinandersetzen, alles andere ist ein Zeichen von Intoleranz und der Unfähigkeit zum Diskurs.

Andererseits gibt es aber auch keine "heiligen" Bücher, denn letztlich sind alle bloß bedrucktes Papier. Wertvoll im materiellen Sinne sind höchstens unersetzbare Einzelexemplare (Handschriften, Originalausgaben). Doch die Menschen machen gerne ein großes Brimborium um das, was sie als "heilig" bezeichnen oder ihren Zeitgenossen als "heilig" verkaufen möchten. Als am 24. Dezember 2013 die Tagesschau Folgendes berichtete, habe ich echt an der Vernunft der sonst so nüchtern daherkommenden Nachrichtensendung gezweifelt. Es ging um den Bericht über eine Weihnachtsfeier der deutschen Soldaten in Mazar-e Sharif/Afghanistan. O-Ton: "Etwas ganz Besonderes wird für die Soldaten eingeflogen, ein Licht aus dem heiligen Land, entzündet am Geburtsort von Jesus Christus. (...) 'Ist schon ein kleines Wunder'", sagt ein Soldat ergriffen. Und der Auslandskorrespondent der ARD nickt heftig. [1]

Welch ein Schmarrn! Es gibt kein "heiliges" Land, denn das ist bloß eine durch nichts bewiesene orientalische Legende, selbst wenn diese durch ein angeblich "heiliges" Buch (die christliche Bibel oder die jüdische Thora) verbreitet wird. Demzufolge gibt es auch kein "Licht aus dem heiligen Land", das Licht ist lediglich eine Flamme, der man eine übernatürliche Bedeutung zugeschrieben hat. Nichts daran ist wahr. Rational betrachtet unterscheidet sich das "Licht aus dem heiligen Land" in nichts von der Flamme eines gewöhnlichen Gasfeuerzeugs aus dem Supermarkt. Abgesehen vom Preis, denn ich will gar nicht wissen, was es gekostet hat, das "Licht aus dem heiligen Land" mit dem Flugzeug nach Afghanistan zu bringen. Wie sollte sich auch die ominöse Heiligkeit konkret auf den physikalischen Prozess der Verbrennung von Gas oder Kerzenwachs übertragen? Abrakadabra, dreimal schwarzer Kater? Das ist doch nur Mummenschanz, um Menschen zu veräppeln. Und die ARD hat dabei mitgespielt, ich fasse es nicht.

Dieser Irrsinn ist leider weitverbreitet. "In Indien hat eine Sexszene des Films 'Oppenheimer' bei Vertretern der hindunationalistischen Regierungspartei BJP Empörung ausgelöst", berichtet der österreichische Standard. Grund: Im Film gibt es eine Szene, in der Oppenheimer seiner Geliebten aus der Bhagavad Gita vorliest: "Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten." Das indische Informationsministerium protestierte: "Dies ist ein direkter Angriff auf den Glauben von einer Milliarde toleranten Hindus, es ist gar ein Krieg gegen die Hindu-Gemeinschaft, und es scheint fast ein Teil einer größeren Verschwörung von Anti-Hindu-Kräften zu sein." [2] Doch was auf die christliche Bibel zutrifft, gilt natürlich genauso für die Bhagavad Gita oder den Koran - es ist nur bedrucktes Papier, die angebliche Heiligkeit bloß ein menschliches Konstrukt.

Selbstverständlich muss man sich fragen, ob in Schweden oder Dänemark unbedingt der Koran verbrannt werden muss. In meinen Augen ist das vollkommen überflüssig und liegt - siehe oben - auf dem gleichen Niveau von Bücherverbrennungen der Vergangenheit. Aber es ist keine Blasphemie. Wenn es daraufhin in den islamisch geprägten Ländern zu Gewalttätigkeiten kommt, ist das ebenfalls barbarisch. Der Koran mag bei Gläubigen eine besondere Bedeutung haben, doch das gilt natürlich nicht für Andersgläubige oder Atheisten. "Heilig ist ein religiöser Ausdruck, der eine Person, einen Gegenstand oder einen Begriff einer Sphäre des Göttlichen, Vollkommenen oder Absoluten zuordnet." [3] Es gibt allerdings keinen Gott, folglich ist objektiv gesehen kein Buch der Welt "heilig". Dies gilt wohlgemerkt für alle Religionen, selbst wenn diese - naturgemäß jede einzelne für sich - beanspruchen, im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein. Lässt man sich freilich im konkreten Fall von gewalttätigen Demonstranten und der Missbilligung der Autokraten beeindrucken (kein islamisch geprägtes Land ist wirklich demokratisch), gibt man dem religiösen Wahn nach und unterwirft sich letztlich deren Auffassungen.

Religion ist eine reine Privatangelegenheit, Demokratien sind weltanschaulich neutral. Religionsfreiheit bedeutet auch, dass von Seiten der Religionen kein Zwang auf andere ausgeübt werden darf. Wenn man andernorts Probleme mit der weltanschaulichen Neutralität und der Religionsfreiheit hat, sollte uns das unbeeindruckt lassen.

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[1] Youtube, Tagesschau vom 24.12.2013, ab Min. 5:23
[2] Der Standard vom 26.07.2023
[3] Wikipedia, Heilig