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25. August 2023, von Michael Schöfer
Es kotzt mich an!


Ich muss jetzt ausnahmsweise einmal derb werden und bitte die Leserinnen und Leser gleich im Vorhinein um Verzeihung, aber in mir brodelt es gewaltig, denn es kotzt mich wirklich an. Ich habe 43 Jahre als Verwaltungsangestellter bei der Polizei gearbeitet und bin seit einem halben Jahr Rentner. Meine Rente ist nicht üppig, aber ich beziehe auch keine Minirente, mir geht es vergleichsweise gut. Kleine Einschränkung: noch.

Seit langer Zeit wohne ich in Mannheim im 4. Obergeschoss eines Mietshauses. Ohne Fahrstuhl, wohlgemerkt. Jetzt schaffe ich das, obwohl ich jedes Mal beim Hochgehen ein bisschen keuchen muss. Probleme am rechten Knie signalisieren mir jedoch: In zehn Jahren ist es mit dem Treppensteigen vielleicht vorbei, die üblichen altersgerechten Zipperlein eben. Mir war daher seit geraumer Zeit klar, ich muss mir nach Rentenbeginn eine leichter erreichbare Erdgeschosswohnung suchen. Die Frage ist: Woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Schon die Regierungen unter Angela Merkel haben ihre selbstgesteckten Ziele beim Wohnungsbau krass verfehlt, unter der Ampelregierung ist es freilich nicht besser geworden. Im Gegenteil, die fertiggestellten Wohnungen (2022: 295.300) liegen weit unter dem versprochenen Niveau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr. [1] Die Inflation der Baupreise und die steigenden Zinsen tun ihr Übriges, die Baugenehmigungen von Wohnungen sind von Januar bis Mai 2023 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 27 Prozent gesunken. [2] Vermutlich werden 2023 abermals viel weniger Wohnungen fertiggestellt als benötigt. Und dabei reden wir noch nicht einmal über "bezahlbaren" Wohnraum, denn Neubauwohnungen können sich anscheinend nur noch die Besserverdienenden leisten. Wenn ich mir den verlangten Mietzins ansehe, frage ich mich ständig: Wer kann das bezahlen, wer hat so viel Geld?

Aber auch die Miete bei der Neuvermietung von Bestandswohnungen steigt mittlerweile in schwindelerregende Höhen. Ich suche ja gelegentlich im Internet - immer in der Hoffnung, etwas Passendes zu finden. Heute waren zum Beispiel in meinem Stadtteil nur vier Erdgeschosswohnungen im Angebot, eine davon mit 60 Quadratmeter in etwa so groß wie meine derzeitige Unterkunft, allerdings mit 900 Euro inkl. Nebenkosten fast doppelt so teuer. Wie soll das gehen - eine im Vergleich zum Gehalt deutlich niedrigere Rente und eine im Vergleich zu jetzt wesentlich höhere Miete? Es wäre schön, wenn nach einem langen Arbeitsleben (inklusive Ausbildungszeit/Wehrdienst immerhin 48 Jahre) noch ein bisschen Geld für Strom, Heizung, Essen, Kleidung und Bücher übrig bliebe. Ich kann nur ahnen, wie es Rentnern geht, die im Arbeitsleben weniger als der Durchschnitt verdient haben oder auf eine unterbrochene Erwerbsbiographie zurückblicken.

Und die Politiker? Die reden nur und können dem Explodieren der Mieten anscheinend bloß hilflos zusehen. Nichts von dem, was sie bislang umgesetzt haben, hat Wirkung gezeigt. Im Gegenteil, es wird immer schlimmer. Doch neue Ansätze wagen? Pustekuchen! Man müsste dabei ja bestimmten Interessen auf die Füße treten. Und wenn sich die Politiker dann in den Talkshows verwirrt fragen, warum die Stimmung so gereizt ist und die Menschen immer wütender werden, kann ich nur staunen. Leben die auf dem Mond? Oder haben sie sich von der Lebensrealität der Durchschnittsverdiener schon so weit entfernt, dass sie nichts mehr mitbekommen? Es gibt bekanntlich in den Parlamenten fast nur noch Akademiker, und die Nebeneinkünfte der Parlamentarier sind mitunter höher als das, was ein normaler Arbeitnehmer im ganzen Leben verdient. [3] Woher soll da die Sensibilität für die Nöte der Mieter kommen? Entsprechend fallen dann auch die Gesetze aus. Dass der Herr Bundesfinanzminister anlässlich seiner Hochzeit auf Sylt im Porsche herumkutschiert, sei ihm gegönnt. Wenn er wenigstens nebenbei noch etwas für die geplagten Mieter tun würde, wäre das toll. Allerdings scheint er es ja für nötiger zu halten, die Unternehmen zu entlasten. Polemisch formuliert: Anderen Porsche-Fahrern etwas Kleingeld zuschanzen, die berühmt-berüchtigten Peanuts. So ein Sportwagen kostet halt.

Klar, man kann auch preisgünstig jwd wohnen - in Pirmasens, Chemnitz oder in Görlitz. Man kann sich wie in jungen Jahren mit einem 20 Quadratmeter-Appartement begnügen oder mit Billigessen vom Discounter ernähren (der Klassiker: Dosenravioli). Das Dosenbier ersetzt den Gaststättenbesuch, Jogginghosen von C&A sind zweifellos erschwinglicher als Markenjeans, und das Fahrrad sowie das Deutschland-Ticket machen sogar den Kleinwagen überflüssig. Aber hat man dafür ein Leben lang gearbeitet? Nur um mitanzusehen, dass ein Minister sich in Berlin eine Villa für 4,125 Millionen zulegt, aber gleichzeitig für die Malocher das Renteneintrittsalter hochsetzen will? Ohne Übertreibung: Mir steigt da die Zornesröte ins Gesicht.

Noch einmal: Es kotzt mich an! Und solange sich das nicht ändert, werde ich bei den Wahlen keine der etablierten Parteien mehr wählen. So dumm, die rechtsradikalen Feinde der Demokratie zu wählen, bin ich trotzdem nicht. Ich will ja nicht die Demokratie abschaffen, sondern die Politik im Interesse der Durchschnitts- und Geringverdiener verändern, doch genau das kann man bei den etablierten Parteien vergessen. Deshalb schaue ich mir demnächst ein paar Kleinparteien genauer an, ob ich bei denen nicht fündig werde. Es ist bezeichnend für den beklagenswerten Zustand unserer Gesellschaft, dass ein Mensch, der 43 Jahre lang für den Staat gearbeitet hat, heute von der Politik so frustriert ist.

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[1] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 199 vom 23.05.2023
[2] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 280 vom 18.07.2023
[3] abgeordnetenwatch.de vom 06.06.2023