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10. September 2023, von Michael Schöfer
G20-Gipfel: Wie gewohnt viel heiße Luft


Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz den G20-Gipfel in Indien als "großen Erfolg" verkauft, kann man fast sicher sein, dass wenig dabei herausgekommen ist. Wobei ja auf G20-Gipfeln generell selten etwas Substanzielles herauskommt. Es sei schon ein gutes Zeichen, dass es zu einer gemeinsamen Gipfelerklärung gekommen ist, will uns der Kanzler weismachen. Das kann man natürlich auch anders sehen, denn die Verständigung auf ein Abschlusspapier ist der absolute Mindeststandard für solche aufwendigen Treffen. Allerdings sagt das Zustandekommen einer Gipfelerklärung noch nichts über deren Inhalt aus. Für ihn sei es ein "sehr erfolgreicher Gipfel mit guten Ergebnissen" gewesen, versichert Scholz.

"Wir sind entschlossen, unsere Maßnahmen zur Bewältigung umweltbezogener Krisen und Herausforderungen einschließlich des Klimawandels mit großer Dringlichkeit zu beschleunigen. (…) Wir nehmen mit Sorge zur Kenntnis, dass weltweit der Ehrgeiz und die Umsetzung in Bezug auf die Bekämpfung des Klimawandels nach wie vor unzureichend sind, um das Temperaturziel des Übereinkommens von Paris zu erreichen und den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur deutlich unter 2 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu halten, und wir sind bemüht, den Temperaturanstieg auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen." [1] (Seite 16 f der korrigierten deutschen Übersetzung)

Was solche vagen Absichtserklärungen wert sind, belegt das Aufweichen des Klimaschutzgesetzes, das unzureichende Gebäudeenergiegesetz (vulgo Heizungsgesetz) und das nach wie vor fehlende generelle Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Sich in Neu-Delhi demonstrativ zu den Klimazielen von Paris bekennen, aber zu Hause in der Praxis davon abrücken - das ist die Politik der Ampelregierung im Jahr 2023. Was nützt es, entschlossen zu sein, etwas zu begrüßen, anzuerkennen oder mit Sorge zur Kenntnis zu nehmen, wenn man nicht entsprechend handelt? Was nützt es, ein konkretes Ziel zu benennen, Netto-Null-Emissionen von Treibhausgasen/CO2-Neutralität (Seite 18 der korrigierten deutschen Übersetzung), wenn man es voraussichtlich gar nicht erreicht? Jedenfalls nicht mit den bislang beschlossenen Maßnahmen. Den Klimawandel stärker zu bekämpfen, versprachen die G20 bereits auf dem Gipfel im April 2009 in London. Ergebnis: Die globalen CO2-Emissionen sind seitdem um rund 5 Gigatonnen gestiegen (von 31,56 Gt im Jahr 2009 auf 36,8 Gt im Jahr 2022), und für 81 Prozent dieser Emissionen sind die G20-Staaten verantwortlich.

"Ferner betonen wir, dass die Religions- und Weltanschauungsfreiheit, die Meinungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Recht auf friedliche Versammlung sowie das Recht auf Vereinigungsfreiheit voneinander abhängen, miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig verstärken", heißt es in der Gipfelerklärung. (Seite 40 der korrigierten deutschen Übersetzung) Schön, dass sich China und Russland wenigstens auf dem Papier dazu bekennen, an der faktischen Missachtung dieser Rechte ändert das freilich keinen Deut. Schön auch, dass sich G20-Mitglied Saudi-Arabien zur Geschlechtergerechtigkeit bekennt und die Ungleichbehandlung der Geschlechter zu bekämpfen verspricht. (Seite 35 f der korrigierten deutschen Übersetzung) Papier ist ja bekanntlich geduldig. Die Realität sieht anders aus: Salma al-Schihab wurde zu 27 Jahren Haft verurteilt, weil sie auf Twitter "Freiheit für die Häftlinge des Patriarchats" gefordert hat und Frauenrechte unterstützte. Obwohl, saudi-arabische Dissidentinnen und Dissidenten sind schon froh, wenn man sie nicht zerstückelt.

Rätselhaft ist folgender Passus: "Ferner sehen wir den Olympischen und Paralympischen Spielen in Paris 2024 unter Teilnahme aller als Sinnbild für Frieden, Dialog zwischen den Völkern und Inklusivität erwartungsvoll entgegen." (Seite 41 der korrigierten deutschen Übersetzung) Bedeutet "unter Teilnahme aller", dass russische und belarussische Athleten an den Olympischen Spielen teilnehmen dürfen? Trotz des Angriffskrieges auf die Ukraine? Das wäre ein Unding.

Es ist typisch für Politiker, sich für magere Ergebnisse selbst zu loben, die Bedeutung von Erklärungen aufzubauschen und Phrasen als Fortschritt zu verkaufen. Da unterscheidet sich Olaf Scholz in nichts von Angela Merkel. Falls ihm das die Bürgerinnen und Bürger genauso abkaufen wie ihr, war der G20-Gipfel in Neu-Delhi tatsächlich ein Erfolg. Aber nur für ihn.

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[1] Bundesregierung, Erklärung von New Delhi der Staats- und Regierungschefinnen und -chefs der G20, PDF-Datei mit 835 KB (korrigierte Übersetzung). Zum Problem mit der Übersetzung siehe Bundesregierung präsentiert lückenhafte Übersetzung vom 11.09.2023