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22. September 2023, von Michael Schöfer
Ist halt so, nix zu machen, findet euch damit ab


Es gibt derzeit viele Gründe, warum die Menschen von der Politik so enttäuscht sind, eine davon ist die offensichtliche Ungleichbehandlung von Pensionären und Rentnern. Arbeitnehmer bekommen nach 45 Versicherungsjahren im Schnitt eine Rente von 1.543 Euro ausgezahlt [1], im Gegensatz dazu haben Beamte in Baden-Württemberg schon nach 5 Dienstjahren Anspruch auf eine Mindestpension von 1.863 Euro [2]. Das Rentenniveau (Höhe der Rente nach 45 Jahren Beitragszahlung auf der Basis eines durchschnittlichen Einkommens) beträgt derzeit 48,15 Prozent, Beamte bekommen jedoch bis zu 71,75 Prozent ihrer letzten ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge. Pensionäre erhalten eine steuerfreie Inflationsprämie in Höhe von 3.000 Euro, Rentner sollen dagegen leer ausgehen. [3]

Und dafür erwarten die Politiker Beifall? Zu allem Überfluss finanzieren Arbeitnehmer die Beamtenpensionen auch noch über die Steuern mit, denn Beamte müssen keine Beiträge für ihre Pension entrichten, die Rechnung übernimmt der Steuerzahler. Arbeitnehmer zahlen also doppelt: Sie finanzieren ihre eigene Rente und zusätzlich die der Beamten, bekommen dafür jedoch im Alter deutlich weniger Geld ausgezahlt. So sieht Gerechtigkeit aus (Achtung: Ironie!). Pensionäre, die sich an der Tafel versorgen müssen, Müllbehälter nach Pfandflaschen durchsuchen, mit 70 noch einen Minijob brauchen oder wegen Wohnungslosigkeit in Notunterkünften hausen, dürften daher die absolute Ausnahme sein (falls es sie überhaupt gibt). Der Gegensatz von oben und unten ist teilweise auch der Gegensatz von Systemen.

Für die soziale Kluft bei der Altersversorgung sind nämlich zwei unterschiedliche Systeme verantwortlich, das Leistungsprinzip bei den Arbeitnehmern und das Alimentationsprinzip bei den Beamten. Im Ruhestand führt das zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen. Die "hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums" sind ein ausgeklügeltes Herrschaftsinstrument, das ursprünglich in Preußen entwickelt wurde und bis heute Bestand hat. Über alle Widrigkeiten der Geschichte hinweg hat sich zumindest der Beamtenstatus als unantastbar erwiesen. Revolutionen, Weltkriege und Wirtschaftskrisen konnten ihm nichts anhaben. Es scheint so, dass es bis in alle Ewigkeit Beamte geben wird, egal was unterdessen passieren mag.

Der Frust in der Bevölkerung resultiert aus dem offenkundigen Unwillen, diese Systeme miteinander zu verschmelzen. Wenig verwunderlich, Beamte haben einen großen Anteil daran, welche Regeln hierzulande gelten: Beamte (Professoren) untermauern die Altersversorgung theoretisch, Beamte formulieren in der Verwaltung die entsprechenden Gesetze, Beamte entscheiden darüber im Bundestag (laut Statista sind aktuell von den insgesamt 736 Abgeordneten immerhin 108 verbeamtet), Beamte (Richter) urteilen an den Gerichten über deren Auslegung - oft genug zugunsten ihrer eigenen Berufsgruppe. Ein selbst vom Wahlvolk, von dem angeblich alle Staatsgewalt ausgeht, schwer zu knackendes Bollwerk. Kaum zu glauben: 1,75 Mio. Beamte schotten das System, das ihnen zahlreiche Privilegien verschafft, erfolgreich gegen Änderungswünsche der anderen 59,43 Mio. wahlberechtigten Staatsbürgern ab. Formal kein Staat im Staate, aber faktisch.

An der Kinokasse, im Restaurant oder im Supermarkt fragt jedoch keiner nach dem Status, da zahlen alle den gleichen Preis. Wenn dann ausgerechnet die Gruppe, die das alles zu einem Gutteil finanziert, im Alter auch noch systematisch benachteiligt wird, kann man den Frust nachvollziehen. Systembedingt (wegen der Beitragsbemessungsgrenze und der Rentenformel) beträgt momentan die maximal mögliche Altersrente in Westdeutschland 3.384 Euro [4], doch dazu muss man stets ein Gehalt genau in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze verdienen, was in der Praxis so gut wie nie vorkommt (im Jahr 2021 bekamen bloß 40 Rentner in Deutschland eine monatliche Rente von mehr als 3.000 Euro). Im Vergleich dazu kommen Pensionäre schon im Schnitt (!) auf 3.170 Euro [5]. "2021 erhielten Beamte im mittleren und einfachen Dienst durchschnittlich 2.318 Euro Pension, Beamte im gehobenen Dienst 3.339 Euro und im höheren Dienst 4.973 Euro." [6]

Leider reagiert die Politik hier noch phlegmatischer als auf anderen Gebieten, ihre Haltung kann man mit "Ist halt so, nix zu machen, findet euch damit ab" beschreiben. Gewiss, was in Jahrhunderten gewachsen ist, lässt sich nicht von heute auf morgen abschütteln. Aber es ist, siehe steuerfreie Inflationsprämie, bei der Politik noch nicht einmal der Wille erkennbar, daran etwas grundlegend zu ändern. Bei der steuerfreien Inflationsprämie wäre die Gleichheit von Rentnern und Pensionären relativ leicht herzustellen, der Bundestag müsste hierzu bloß ein entsprechendes Gesetz beschließen, bei der Angleichung der Altersversorgung dauert das allerdings Jahrzehnte. Doch es geht durchaus, wenn man nur will: "Wenn mehr Menschen ins Schweinderl einzahlen, kommt auch mehr für alle raus. In Österreich zahlen auch Selbständige und Beamte ins Rentensystem ein." [7] Mit positiven Folgen.

Beamte wurden dort bereits im Jahr 2005 ins allgemeine Rentensystem eingegliedert. Die Deutsche Rentenversicherung kam 2017 bei einem Vergleich zu dem Ergebnis: Die durchschnittlichen Bruttorenten sind in Österreich (auf Monatsbasis) gut 50 Prozent höher als in Deutschland. [7] Naturgemäß ist auch in der Alpenrepublik nicht alles Gold was glänzt, so sind etwa die Rentenbeiträge in Österreich spürbar höher als bei uns. Auch bei der Mindestwartezeit, dem Rentenabschlag bei vorgezogener Altersrente und dem Rentenabschlag bei den Erwerbsminderungsrenten hat Deutschland damals besser abgeschnitten. Dennoch: Österreich hat mit unterschiedlichen Altersversorgungssystemen Schluss gemacht, nach einer mehrjährigen Übergangszeit gelten für alle die gleichen Regeln. Etwas, das sich viele Bundesbürger wünschen würden - es sei denn, sie besitzen zufällig Beamtenstatus.

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[1] tagesschau.de vom 23.07.2023
[2] LBV BW, Mindestversorgungsbezüge des Landes Baden-Württemberg, PDF-Datei mit 464 KB
[3] Frankfurter Rundschau vom 22.09.2023
[4] Main-Post vom 19.09.2023
[5] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 551 vom 20.12.2022
[6] merkur.de vom 02.02.2023
[7] Südkurier vom 21.09.2023
[8] Deutsche Rentenversicherung, Alterssicherung in Österreich – was ist beim Nachbarn anders?, PDF-Datei mit 1 MB