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11. Oktober 2023, von Michael Schöfer
Das Wort "Tragödie" ist unzureichend


"Es gebe keinen Zweifel daran, 'dass sowohl die arabische Welt und die Palästinenser, einschließlich der Hamas, Israels Recht auf ein Leben in Frieden innerhalb der Grenzen von 1967 akzeptieren werden.'" Das ist keine aktuelle Äußerung, sondern eine des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter nach Gesprächen mit der Hamas im Jahr 2008. [1] Ob das wirklich gestimmt hat, ist nicht zuletzt wegen des aktuellen grausamen Angriffs auf Israel sehr, sehr unwahrscheinlich. In ihrer Charta aus dem Jahr 1988 ruft die Hamas ausdrücklich zum Mord an Juden auf und erteilt auch allen Friedensregelungen, die den Verzicht auf einen Teil Palästinas beinhalten, eine Absage. Da sie unter Palästina das Gebiet vom Jordan bis zum Mittelmeer versteht, ist dort in den Augen der Hamas für Israel kein Platz. Allen Schalmeienklängen zum Trotz, die eine Haltungsänderung andeuteten [2], dürfte feststehen: Die Hamas würde Israel vernichten, wenn sie es könnte. Insofern bleibt sie ihren ursprünglichen Zielen treu, diesbezüglich darf man sich keinen Illusionen hingeben.

Was den Menschen des Kibbuz Kfar Aza direkt an der Grenze zum Gazastreifen geschah, würde ganz Israel bevorstehen, falls das Land je von seinen Feinden besiegt werden sollte: "Der Ort wurde weitgehend zerstört. Noch hat die Armee keine genauen Opferzahlen bekannt gegeben. Doch unter ihnen befinden sich laut Aussagen von Soldaten, die den Ort gesichert haben, wohl auch tote Säuglinge und Kleinkinder. Eine Reporterin des TV-Sender 'i24NEWS' schildert ihre Gespräche vor Ort so: 'Ich habe mit einigen der Soldaten darüber gesprochen, was sie gesehen haben, als sie durch die verschiedenen Häuser gegangen sind. Babys … mit abgeschnittenen Köpfen … das haben sie gesagt. Familien, die in ihren Betten erschossen wurden.' Rund 40 tote Kinder sollen es insgesamt sein. David Ben Zion, der stellvertretende Kommandeur der Fallschirmjäger-Truppe, die den Ort befreite, sagte im Interview mit der Reporterin: 'Sie haben Kindern die Köpfe abgeschnitten, sie haben Frauen die Köpfe abgeschnitten. Es ist schrecklich, das zu sehen.'" [3]

Frieden schließt man bekanntlich mit seinen Feinden, doch es gibt Feinde, mit denen ist jede Friedenslösung völlig undenkbar. Hamas und die Hisbollah im Libanon gehören beide dazu. Mit ihnen kann es bestenfalls einen Waffenstillstand geben, aber keinen dauerhaften Frieden. Insofern war der Versuch Israels, mit den Abraham-Abkommen den Terrororganisationen peu à peu die Unterstützung arabischer Staaten zu entziehen, völlig richtig.

Wäre die israelische Regierung noch für eine Zwei-Staaten-Lösung aufgeschlossen, hätte das durchaus in einen dauerhaften Frieden münden können. Die arabische Friedensinitiative aus dem Jahr 2002 beinhaltete genau das: die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den islamischen Staaten (inklusive Anerkennung des jüdischen Staates) und im Gegenzug der Rückzug Israels aus allen 1967 besetzten Gebieten (inklusive Anerkennung eines unabhängigen palästinensischen Staates mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt). Es wurde leider nie ernsthaft darüber verhandelt. Benjamin Netanjahu will beides: Normalisierung der Beziehungen plus die Hoheit über ganz Jerusalem und das Westjordanland.

Bleibt das Problem mit dem Iran, der Hamas und Hisbollah unterstützt. Der Gedanke, das Land könnte Atomwaffen besitzen, ist für alle Israelis ein Alptraum. Und diese Gefahr scheint zu wachsen. Was sich im Nahen Osten abspielt, ist mit dem Wort "Tragödie" nur unzureichend beschrieben.

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[1] Reuters vom 21.04.2008
[3] Tagesspiegel vom 11.10.2023