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| Impressum 23. Oktober 2023, von Michael Schöfer Definiert endlich einmal Staatsräson genau "Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar. Und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben", versprach die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel 2008 in ihrer Rede vor der Knesset in Jerusalem. [1] Ein Bekenntnis, das Bundeskanzler Olaf Scholz jüngst bei seinem Besuch in Israel erneut bekräftigt hat. Aber auch er ohne sich festzulegen, welche Konsequenzen diese Verpflichtung nach sich ziehen könnte. Staatsräson wird heute üblicherweise auf dreierlei Art definiert:
Wer intensiv darüber nachdenkt, dem kommen Zweifel. Segnet die
Staatsräson auch Verstöße gegen bestehende Gesetze ab, etwa
die Verletzung des Völkerrechts? Der Nahe Osten ist ja
bekanntermaßen völkerrechtlich ein Minenfeld, so ist die
Annexion der Golanhöhen und Ostjerusalems ebenso
völkerrechtswidrig wie die Besatzung und die Siedlungspolitik
im Westjordanland (vgl. UN-Resolution 242 vom 22.11.1967, UN-Resolution 476 vom 30.06.1980, UN-Resolution 478 vom 20.08.1980, UN-Resolution 497 vom 17.12.1981).
Das ist bislang auch die offizielle Haltung der
Bundesregierung. Nicht ohne Grund ließ 2012 der damalige
Bundespräsident Joachim Gauck bei seinem Staatsbesuch in
Israel erkennen, dass ihm dieser hehre Begriff Unbehagen
bereitet. "'Ich will nicht in Kriegsszenarien denken', sagt
der Bundespräsident mit Blick auf einen denkbaren Krieg
Israels etwa mit dem Iran. Das 'Staatsräson'-Wort könne die
Bundeskanzlerin noch in 'enorme Schwierigkeiten' bringen." [4]
Berufs- und Zeitsoldaten leisten gemäß § 9 Soldatengesetz folgenden Diensteid: "Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe." Gleichzeitig erlegt ihnen aber § 11 Abs. 2 Soldatengesetz ausdrücklich auf: "Ein Befehl darf nicht befolgt werden, wenn dadurch eine Straftat begangen würde." Das Grundgesetz wiederum bestimmt in Artikel 25: "Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes." Damit sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "die Normen des universellen Völkergewohnheitsrechts und damit die Normen des Völkerrechts" gemeint (die Charta der Vereinten Nationen, die Genfer Konventionen etc., nicht jedoch das Völkervertragsrecht). [5] Diese juristischen Vorgaben könnten unter Umständen miteinander in Konflikt geraten, beispielsweise bei einer illegalen Annexion des Westjordanlandes und einem daraufhin ausbrechenden Krieg. Die besondere Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel ist unbestritten. Die Frage, wie weit diese Verpflichtung konkret reicht, bedarf allerdings der Klärung. Und das angesichts der aktuellen Ereignisse dringender denn je. Bislang ist alles bloß diffus, nichts steht fest. Sofern unser Bekenntnis zu Israel keine leere Floskel sein soll, das im Ernstfall kläglich versagt, müssen wir entscheiden, was die Aussage "die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson" genau bedeutet. Wenn es darauf ankommt könnte es nämlich passieren, dass innerhalb und außerhalb des Parlaments erst einmal lang und breit darüber gestritten wird. Und das möglicherweise in einer Situation, in der es keine Zeit mehr für solche Diskussion gibt. Wenn man jedoch die Antwort bewusst offenlässt, wie es Politiker gerne tun, könnten die vollmundigen Solidaritätsbekundungen nach hinten losgehen. Handelt Deutschland im Ernstfall gegenüber Israel ähnlich zögerlich wie anfangs gegenüber der Ukraine (die berühmt-berüchtigten 5.000 Helme), droht uns eine fürchterliche Blamage und ein gewaltiger Ansehensverlust. Vom Eingeständnis der Unaufrichtigkeit ganz zu schweigen. ----------
[1]
Bundesregierung, Rede von
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel vor der Knesset am 18.
März 2008, PDF-Datei mit 84 KB
[2]
Wikipedia,
Staatsräson
[3]
Deutsche Welle vom 16.10.2023
[4]
Die Welt vom 29.05.2012
[5] Wissenschaftliche Dienste des
Deutschen Bundestages, Sachstandsbericht vom 20.01.2016,
PDF-Datei mit 181 KB
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