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26. Oktober 2023, von Michael Schöfer
Auf Gedeih und Verderb gebunden


Frei nach Friedrich Schiller (1759-1805): "Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht noch was Besseres findet." Dieser gutgemeinte Rat an Heiratswillige hat mittlerweile viel von seiner früheren Bedeutung verloren, weil man sich im Gegensatz zu Schillers Zeiten (Was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht scheiden!) jetzt vergleichsweise leicht trennen kann. Bündnisse in der Politik sind heutzutage mitunter sogar beständiger als manche Ehen, weil sich die Partner mindestens für eine Legislaturperiode aneinanderketten. In Bayern sind das, falls nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommt, immerhin fünf Jahre. Und die können lang werden. Quälend lang. Es gibt lediglich einen Vorbehalt: Der Ehevertrag ist nach jeder Wahl neu auszuhandeln.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fallen nun seine starken Sprüche aus dem Wahlkampf auf die Füße, er ist auf Gedeih und Verderb an Hubert Aiwanger (FW) gebunden. "Die Grünen passen mit ihrem Weltbild nicht zu Bayern, und deswegen wird es keine Grünen in der bayerischen Staatsregierung geben. Auf gar keinen Fall", versprach er hoch und heilig vor der Landtagswahl. [1] Und schwupp, war die erste infrage kommende Braut bereits durchgefallen. Tinder blieb Söder allerdings erspart: Erklärtes Ziel der CSU war, die Koalition mit den Freien Wählern fortzusetzen. Lieber beim Altbewährten bleiben.

Das Aufgebot war also rechtzeitig bestellt, nur haben sich die Christsozialen den Brautpreis etwas anders vorgestellt, sie fuhren nämlich am 8. Oktober mit 37 Prozent (-0,2 %P) das schlechteste Landtagswahlergebnis seit 1950 ein, während die Freien Wähler mit 15,8 Prozent (+4,2 %P) ein Rekordergebnis erzielten. Die Flugblattaffäre wirkte kurioserweise wie ein Anabolikum. Aiwanger hat dem zurechtgestutzen Bräutigam dann rasch die Rechnung präsentiert, der Brautpreis wurde auf vier Ministerien festgelegt.

"Wenn Sie ausrechnen, wie die Wahlergebnisse sind, dann glaube ich auch, dass jeder ausrechnen kann, wie viele Ministerien uns zustehen", gab sich der Chef der Freien Wähler selbstbewusst. CSU-Generalsekretär Martin Huber konterte: "Ein Anspruch auf ein weiteres Ministerium ist durch das Ergebnis nicht ableitbar." [2] Seit heute wissen wir, wer besser rechnen kann: die Freien Wähler bekommen ihr viertes Ministerium. Söder blieb nichts anderes übrig, die grüne Braut hat er ja vorzeitig verschmäht, und mit der roten Braut wäre es ziemlich eng im Ehebett gewesen (Schwarz-Rot hätte nur eine einzige Stimme mehr gehabt als die Opposition). Die blaue Braut wiederum ist derzeit generell unvermittelbar. Blieb wohl oder übel bloß der unverschämte Hubsi.

Die Ehe steht freilich unter keinem guten Stern. Im Gegensatz zur CSU, die naturgemäß auf Bayern beschränkt ist (es sei denn, sie gibt ihre Unabhängigkeit auf und fusioniert mit der CDU), wollen die Freien Wähler bei der Europawahl im Jahr 2024 und bei der Bundestagswahl im Jahr 2025 in ganz Deutschland antreten. Hat das neue Wahlrecht (Abschaffung der Grundmandatsklausel) vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand, könnte es für die CSU bitter werden. Durchaus vorstellbar, dass die CSU bundesweit an der 5-Prozent-Hürde scheitert, aber die in allen Bundesländern antretenden Freien Wähler erstmals in den Bundestag einziehen. Die 31,7 Prozent der CSU in Bayern reichten bei der Bundestagswahl am 26. September 2021 bundesweit gerade mal für 5,2 Prozent der Zweitstimmen. Könnte das nächste Mal also knapp werden. Verdammt knapp.

Doch was will Söder dagegen machen? Ob ihm bis dahin noch ein paar Schmutzeleien einfallen? Die Aufforderung des CSU-Vorsitzenden an Bundeskanzler Olaf Scholz, die Ampelkoalition zu beenden und eine Regierung mit der Union zu bilden, hat wahrscheinlich den naheliegenden Hintergedanken, im Koalitionsvertrag die erneute Änderung des Wahlrechts zur Bedingung zu machen. Schließlich ist es völlig ungewiss, ob die CSU mit ihrer Klage in Karlsruhe durchkommt. Würde jedoch eine Große Koalition die Wahlrechtsänderung wieder einkassieren, bräuchte die CSU keine Angst mehr zu haben. Man darf Markus Söder nie unterschätzen. Aber Huber Aiwanger anscheinend ebenso wenig.

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[1] CSU vom 04.09.2023
[2] tagesschau.de vom 10.10.2023