Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



02. November 2023, von Michael Schöfer
Israels Dilemma


Vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung sind ein Kriegsverbrechen, deshalb hat die Hamas am 7. Oktober mit dem Massaker in israelischen Kibbuzim unzweifelhaft ein Kriegsverbrechen begangen. Wie ehedem die Nazis im Dritten Reich. Journalisten, die die Videos des Angriffs auf Telegram-Kanälen gesehen haben, berichten von schier unbeschreiblichen Grausamkeiten. Selbst israelische Forensiker/-innen, die im Alltag vieles gewohnt sind, können die Bestialität der Hamas nur schwer verkraften. "Es ist verboten, Zivilpersonen als Schutzschild für militärische Ziele zu missbrauchen oder die Bewegungen der Zivilbevölkerung so zu lenken, dass sie militärische Ziele vor Angriffen abschirmen oder Kriegshandlungen decken." [1] Auch das wird von der Hamas offenkundig ignoriert. Eigentlich müssten Kombattanten zudem als solche erkennbar sein [2], worauf die Terrororganisation, die Israel vernichten will, ebenfalls keinen Wert legt.

Es ist extrem schwer für Israel, im dichtbesiedelten Gazastreifen die Regeln des Völkerrechts einzuhalten (Schonung und Schutz der Zivilbevölkerung). Was soll das angegriffene Land tun, wenn sich der Gegner in oder unter zivilen Wohngebäuden versteckt? Bekämpft Israel die Hamas, leidet die Zivilbevölkerung. Aber soll es deshalb auf die Bekämpfung der Hamas verzichten? Genau das ist Israels Dilemma. Und mich wundert schon, dass viele von Israel Zurückhaltung fordern (bis hin zur Einhaltung eines Waffenstillstands), aber gleichzeitig die Frage unbeantwortet lassen, wie man damit die Hamas stoppen kann. Was soll Israel konkret tun? Die Waffen ruhen lassen und die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen weiterhin dulden, mithin Massaker wie das vom 7. Oktober oder die zahlreichen Raketenangriffe auch künftig in Kauf nehmen?

Völkerrechtlich hat jeder Staat das Recht, sich gegen Angriffe zu verteidigen. Die Charta der Vereinten Nationen spricht vom "naturgegebenen Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung" (Artikel 51). Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich verstehe nicht, was manche von Israel erwarten, mit Friedenstauben wird man bei der Hamas allenfalls Lachkrämpfe verursachen. Natürlich sollte die Zivilbevölkerung im Gazastreifen möglichst geschont werden, doch das hätte sich die Hamas, die für den aktuellen Krieg die alleinige Verantwortung trägt, früher überlegen sollen. Man kann nicht jemandem brutal auf die Nase schlagen und anschließend tränenreich dessen Gegenwehr anprangern (letzteres versucht die Hamas der internationalen Öffentlichkeit zu verkaufen).

Nein, wir sollten nicht die falsche Besatzungspolitik Israels in den besetzten Gebieten aus dem Auge verlieren. Auch Palästinenser genießen den Schutz der universellen Menschenrechte. Allerdings sollten wir auch nicht die unmenschliche Natur der Islamisten aus dem Auge verlieren. Keiner im Westen, der Israel jetzt mit erhobenem Zeigefinger ermahnt, würde unter ihrer Knute leben wollen. Soll Israel dennoch untätig bleiben? Falls nicht, würde man von den Hobby-Strategen gerne erfahren, wie das konkret aussehen soll. Diesbezüglich hört man freilich nichts. Meines Erachtens gilt: Wer ein Land überfällt, Frauen vergewaltigt und Babys enthauptet, muss dafür die Konsequenzen tragen. Alles andere wäre absolut ungerecht und schwer vermittelbar.

----------

[1] Bundesministerium der Verteidigung vom 19.08.2019, Regeln des Krieges: Humanitäres Völkerrecht
[2] vgl. Artikel 37 Abs. 1 Buchstabe c des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte