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03. Dezember 2023, von Michael Schöfer
Hehre Ziele und schöne Worte allein genügen nicht


Bundeskanzler Olaf Scholz formulierte es auf der 28. UN-Klimakonferenz in Dubai klar und deutlich: "Noch ist es möglich, dass wir die Emissionen in dieser Dekade so weit senken, dass wir das 1,5-Grad-Ziel einhalten." [1] Aber "die Wissenschaft sagt uns ganz klar: Wir müssen uns dafür sehr beeilen." [2] Das ist absolut richtig, bloß muss man es zu Hause eben auch tun. Doch genau daran, rasch und entschlossen zu handeln, scheitert die Bundesregierung.

Wir leben in einer Welt voller Widersprüche: "Kanzler für Klimaschutz" stand 2021 auf den Wahlplakaten der SPD. Nachdem Scholz wohl auch für ihn unerwartet in die Verlegenheit kam, sein Versprechen tatsächlich als Regierungschef umsetzen zu können, will er davon nichts mehr wissen. Der Expertenrat für Klimafragen sagt in seiner Stellungnahme zum Klimaschutzprogramm 2023 unmissverständlich, dass die Maßnahmen der Bundesregierung nicht ausreichen, um die Ziele des Klimaschutzgesetzes zu erreichen. "Mit dem Klimaschutzprogramm hat die Bundesregierung ein umfangreiches Programm von rund 130 Maßnahmen vorgeschlagen. Bei konsequenter Umsetzung des Programms soll sich die kumulierte Lücke zum KSG-Zielpfad für die Jahre 2021 bis 2030 bis auf rund 200 Mt CO2-Äq. verringern. Damit hat das Klimaschutzprogramm einen zwar hohen, aber gemäß Klimaschutzgesetz unzureichenden Minderungsanspruch. Die Bundesregierung legt dabei nicht dar, wie die verbleibende Differenz zu den KSG-Zielen geschlossen werden soll." [3] Ohne weitere Anstrengungen ist das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 also kaum zu realisieren.

Eigentlich wäre die Bundesregierung deshalb gesetzlich verpflichtet gewesen, Sofortmaßnahmen einzuleiten, um die Klimaziele einzuhalten, dieser Verpflichtung ist sie allerdings nicht nachgekommen. Das sei rechtswidrig, sagt zumindest das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil. Sofortprogramme seien zwar von den Ministerien vorgelegt, aber nie beschlossen worden. Doch Gesetz ist halt Gesetz. Und es kommt noch schlimmer: Das aktuelle Klimaschutzgesetz, von der letzten GroKo (2017-2021) nach langen Diskussionen beschlossen, soll nach dem Willen der Ampelregierung sogar aufgeweicht werden. Wie beim Bundeshaushalt versucht die Bundesregierung zu tricksen, indem sie die Einhaltung der Sektorziele und die daraus resultierenden Sofortmaßnahmen kurzerhand streicht.

Der Bundeshaushalt 2023 ist bekanntlich vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert, ob es ihr mit den angedachten Klimaschutzmaßnahmen genauso geht, bleibt abzuwarten. Immerhin: "Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen", urteilt das Bundesverfassungsgericht. [4] Es ist daher keineswegs unrealistisch, dass am Ende auch die bislang unzureichenden Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung vom höchsten deutschen Gericht als verfassungswidrig verworfen werden. Hehre Ziele und schöne Worte allein genügen eben nicht, man muss sie auch tatsächlich umsetzen. Aber das Tricksen ist der Bundesregierung offenbar schon so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie anscheinend gar nicht anders kann.

Von der Opposition ist in dieser Hinsicht leider noch viel weniger zu erwarten, sie steckt ebenfalls voller Widersprüche. CDU-Vize Andreas Jung fordert zwar einen Neustart der deutschen Klimapolitik [5], sein Parteivorsitzender sieht das Ganze dagegen nicht so dramatisch. "Das Argument, die Zeit laufe ab, in der Maßnahmen noch den nötigen Erfolg haben könnten, teile er ausdrücklich nicht. 'Es ist eben gerade nicht so, dass morgen die Welt untergeht. Wenn wir in den nächsten 10 Jahren die Weichen richtig stellen, sind wir auf einem guten Weg.'" [6] Dass die Wissenschaft warnt, die Menschheit drohe in Kürze unwiderruflich Kipppunkte zu überschreiten, ficht Friedrich Merz offenkundig nicht an. Im Gegenteil, er wirft der Bundesregierung Bevormundung vor und würde nach einer Regierungsübernahme beispielsweise das Heizungsgesetz wieder aufheben.

In fast jedem Land der Erde passiert das Gleiche. So gesehen ist es wenig verwunderlich, wenn das Jahr 2023 höchstwahrscheinlich erneut einen Temperaturrekord bringt und der CO2-Anteil in der Erdatmosphäre nach wie vor ansteigt. Die Befindlichkeiten der Koalitionsparteien in allen Ehren, dem Klima sind sie jedoch völlig egal. Es richtet sich auch nicht nach dem Wunsch von Friedrich Merz, irgendwann doch noch Bundeskanzler zu werden. Diese Ignoranz ist so unfassbar dumm, dass man sie kaum aushält.

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[1] tagesschau.de vom 02.12.2023
[2] tagesschau.de vom 02.12.2023
[3] Expertenrat für Klimafragen, Pressemitteilung vom 22.08.2023, PDF-Datei mit 45 KB
[4] Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 24.03.2021
[5] RND vom 01.12.2023
[6] Die Zeit vom 26.04.2023