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09. Januar 2024, von Michael Schöfer
Rechtsstaatlichkeit geht anders!


Die einen demonstrieren friedlich, wollen keine Ampelregierung an den Galgen hängen, die Regierung nicht stürzen und drohen Politikern auch nicht mit Gewalt. Sie wollen bloß, dass die Regierenden die selbstgesteckten Klimaziele einhalten, dazu kleben sie sich auf dem Asphalt von Straßen fest. Dennoch ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft München gegen die "Letzte Generation" und macht ihr den Vorwurf, eine kriminelle Vereinigung zu sein. In mehreren Bundesländern wurden Wohnungen von Klimaaktivisten der "Letzten Generation" durchsucht, u.a. die Wohnung von Sprecherin Carla Hinrichs. Da sind Zweifel an der Rechtsauslegung und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen durchaus berechtigt.

Die anderen blockieren fast ganz Deutschland, und das auch noch ganz eigennützig für die eigene Geldbörse. Weil wegen den Blockaden zu wenig Mitarbeiter zur Arbeit kamen, fiel im VW-Werk Emden sogar die Produktion aus. "Die Ampel muss weg", rufen die Landwirte. Und angesichts der aufgeheizten Stimmung dürfte damit wohl kaum die nächste Bundestagswahl gemeint sein. Umsturzphantasien machen die Runde. Eine Wohnungsdurchsuchung bei Bauernpräsident Joachim Rukwied? Wo denken Sie hin! Er ist zur Klausurtagung der CSU eingeladen. Präventivhaft für die Bauern? Ne, ne, diese harsche Maßnahme trifft nur Klimaaktivisten. Kriminelle Vereinigung? Treckerfahrer sind doch harmlos.

In Deutschland wird offenkundig mit zweierlei Maß gemessen, dabei müsste der Rechtsstaat alle gleich behandeln. Der Maßstab, den er an die Klimaaktivisten anlegt, müsste auch für die Bauern gelten. Oder umgekehrt.

Wenig verwunderlich: Der rechtskonservative Polizeigewerkschafter Rainer Wendt (DPolG) begrüßte die Maßnahmen gegen die "Letzte Generation", er spricht von Straßenterror und diffamiert sie als Kriminelle. "Die Justiz greift durch, das ist das richtige Signal eines wehrhaften Rechtsstaates. Die Bevölkerung, die unter dem Straßenterror dieser selbst ernannten Klimaretter täglich tausendfach leidet, wird endlich als das tatsächliche Opfer dieser Kriminellen wahrgenommen." [1]

Die Bauern nimmt er dagegen in Schutz, auf seiner Facebookseite demonstriert er unverhohlen seine Voreingenommenheit: "Die ständige Ermahnung, die Proteste mögen friedlich verlaufen, sind überflüssig und beleidigend. Es sind keine Klimakleber oder andere linke Chaoten, es sind Landwirte!" [2] Motto: Wenn zwei das Gleiche tun...

Nur ist es halt so, dass es eben mutmaßlich Landwirte waren, die die Fähre von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck stürmen wollten, was Wendts Kollegen zum Glück verhinderten. Angriffe der "Straßenkleber" auf Politiker oder Polizeibeamte sind im Unterschied dazu keine bekannt. Nun gut, wer Rainer Wendt kennt, erwartet nichts anderes, jedenfalls keine Objektivität, wie man sie pflichtbewussten Polizisten unterstellt. Würde man sich bei jeder dämlichen Äußerung des Polizeigewerkschafters an den Kopf greifen, hätte man ständig Kopfschmerzen.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich halte die Festklebeaktionen der Klimaaktivisten auf bundesdeutschen Straßen für genauso legitim wie die Blockadeaktionen der Bauern. Ob sie einem gefallen und ob man sie für nützlich hält, steht auf einem anderen Blatt. Proteste gehören, solange sie friedlich bleiben, zur Demokratie dazu, unsere Gesellschaft kann und muss das aushalten. Was mich jedoch massiv stört, ist die offenkundige Ungleichbehandlung. Die einen werden kriminalisiert, den anderen klatscht man Beifall. Rechtsstaatlichkeit geht anders!

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[1] tagesschau.de vom 24.05.2023
[2] Facebookseite von Rainer Wendt vom 08.01.2024, 10:00 Uhr