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14. Januar 2024, von Michael Schöfer
Es ist nicht bloß die unzureichende Kommunikation

Die unzureichende Kommunikation von Bundeskanzler Olaf Scholz ist zwar unstreitig ein Problem, sie ist aber definitiv nicht das Problem. Das eigentliche Problem ist die seit langem anhaltende ungerechte Verteilung des Wohlstands. Früher war die SPD der Anwalt des sogenannten "kleinen Mannes", aber das ist spätestens seit Gerhard Schröders Agenda-Politik, die uns Hartz IV (neuerdings Bürgergeld) und die Absenkung des Rentenniveaus bescherte, vorbei.

Die Mittelschicht erodiert seit vielen Jahren, aber von wem werden die Bedrängten heute faktisch vertreten? Von der Union? Unionsfraktionsvize Jens Spahn hält es für notwendig, Migranten mit "physischer Gewalt" zu drohen [1] und die Kürzung des Bürgergeldes auf Null zu fordern [2]. Sein Ziel ist, die Lufthoheit über den Stammtischen zu erringen, doch am Ende bringt das Bedienen von Ressentiments keine spürbare Entlastung für die Mittelschicht. Zudem ist die Misere der Letzteren zu einem Gutteil auf die 16 Jahre Merkel-Politik zurückzuführen, an der Jens Spahn erwiesenermaßen seinen Anteil hat (seit 2002 MdB, von 2015 bis 2018 parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, anschließend bis 2021 Bundesminister für Gesundheit, seit 2014 Mitglied des CDU-Präsidiums, von Januar 2021 bis Januar 2022 stellvertretender CDU-Vorsitzender).

Die FDP war bekanntlich schon von jeher die Partei der Besserverdienenden, die Grünen haben ihre ehedem sozial ausgerichtete Agenda mittlerweile aus dem Blick verloren. Als Synonym hierfür gilt der gentrifizierte Prenzlauer Berg mit seinen schicken Eigentumswohnungen. Die Linke wiederum ist zur Sektiererpartei verkommen, die gerne Autokraten verteidigt (Wladimir Putin, Nicolás Maduro, Daniel Ortega etc.). Die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte AfD ist ohnehin indiskutabel, zumal deren Programm gerade für die bedrängte Mittelschicht nichts beinhaltet. Die AfD lebt vielmehr vom Schüren von Vorurteilen und der Wut aufs Establishment, hat aber davon abgesehen keine Problemlösungen anzubieten. Wer suggeriert, mit der Abwehr von Migranten seien alle sozialen Probleme beseitigt, belügt die Wählerinnen und Wähler.

Es ist ein sozialpolitischer Skandal, um den sich allerdings niemand wirklich kümmert und der keineswegs auf Deutschland begrenzt ist: In den 20 Mitgliedsstaaten der Eurozone besitzen laut EZB die vermögendsten zehn Prozent der Haushalte 56 Prozent des gesamten Nettovermögens, die obersten fünf Prozent sogar 43 Prozent, während die untere Hälfte gerade mal auf fünf Prozent kommt. Die Zahlen in Deutschland unterscheiden sich davon kaum. [3] Während also die einen über die horrenden Mieten klagen, gönnen sich andere ihre luxuriöse Zweit- oder Drittwohnung. Währen die einen sich bestenfalls einen alten Verbrenner leisten können, bekamen die Besserverdienenden bis vor kurzem ihren teuren Elektro-SUV auch noch vom Steuerzahler subventioniert. Von der steigenden Zahl der Obdachlosen und Tafel-Kunden ganz zu schweigen. Können die Reichen nichts abgeben? Würden die vermögendsten zehn Prozent ihren Anteil von 56 auf 51 Prozent reduzieren, hätten sie noch immer mehr als genug, den unteren 50 Prozent könnte es dagegen doppelt so gut gehen wie zur Zeit. Politisch offenbar nicht durchsetzbar.

Es ist diese scheinbare Ausweglosigkeit, die die Menschen zur Verzweiflung treibt. Seit mindestens 20 Jahren wird hierzulande über die Wohnungsnot diskutiert, und was ist das Resultat? Die Lage wird insbesondere in den Ballungsräumen immer schlimmer. Viele reden über bezahlbaren Wohnraum, nur werden halt kaum noch bezahlbare Wohnungen gebaut. Selbst wenn Olaf Scholz seine Politik besser kommunizieren würde, würde sich daran überhaupt nichts ändern, weil es nämlich nicht auf Worte, sondern auf Taten ankommt. Doch der Kapitalismus funktioniert nach einer letztlich inhumanen Logik: Vermieter sind in einer marktregulierten Gesellschaft gar nicht an billigen Wohnungen interessiert, der Wohnungsmarkt tendiert aus Profitgründen zur Knappheit des Angebots. Und raten Sie mal, wer auf die Politik den größten Einfluss hat. Ich darf Ihnen verraten: Es sind nicht die Interessenvertreter der Mieter.

Im öffentlichen Lobbyregister des Deutschen Bundestages sind derzeit 33.263 Personen eingetragen, die auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen - rechnerisch 45 auf jeden einzelnen Bundestagsabgeordneten. Die Finanzlobby ist mit 610 Lobbyisten und einem Budget von knapp 43 Millionen Euro am besten ausgestattet. [4] Insofern verwundert es kaum, dass die Gesetze so aussehen, wie sie derzeit aussehen. Superreiche zahlen hierzulande kaum Steuern: "Durch aggressive Steuergestaltung [ist] es auf legalem Wege möglich, den Steuersatz auf Vermögenserträge auf unter ein Prozent zu drücken." [5] Nur so ist erklärbar, warum Springer-Chef Mathias Döpfer für sein Milliarden-Geschenk von Friede Springer wahrscheinlich keinen einzigen Cent Schenkungssteuer bezahlt, während sich bei weniger Begüterten rasch das Finanzamt meldet. Wie gesagt, alles ganz legal.

Viele sind nicht nur auf die Ampelregierung wütend, sondern auf die ungerechten Verhältnisse im Land insgesamt. Von einer CDU-geführten Bundesregierung ist hier allerdings keine Änderung zu erwarten. Im Gegenteil, von den 16 Merkel-Jahren haben wir ja nach wie vor die Nase gestrichen voll. In anderen Ländern ist es nicht anders. Wenn ich mir etwa den neuen Premierminister Frankreichs ansehe, stellt dieser in meinen Augen gewissermaßen die letzte, glattgebügelte Hoffnung des liberalen Kapitalismus dar. Gabriel Attal ging natürlich auf eine renommierte Privatschule und studierte nach dem Abitur, wie könnte es anders sein, an einer Elite-Hochschule. Drastisch formuliert: Er wurde mit dem goldenen Löffel im Mund geboren. Wie schön für ihn. Meine Prognose: Er wird die Probleme des Durchschnittsfranzosen genauso wenig lösen wie sein Mentor Emmanuel Macron.

Momentan gibt es für die Unzufriedenen in vielen westlichen Staaten keine politische Heimat mehr, die sie aus Überzeugung wählen können, es bleibt allenfalls das "kleinere Übel", daher ist auch keine wesentliche Besserung in Sicht. Das ist der eigentliche Grund, weshalb die Demokratie in Gefahr ist.

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[1] Die Zeit-Online vom 24.10.2023
[2] Tagesspiegel vom 14.01.2024
[3] Süddeutsche vom 08.01.2024
[4] finanzwende.de vom 08.01.2024
[5] watson.de vom 12.12.2023