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17. Januar 2024, von Michael Schöfer
Die Politik muss endlich in die Gänge kommen


Godzilla stapft schweren Schrittes auf die Stadt zu und droht sie zu vernichten. Der Bürgermeister appelliert in seiner Not an alle Bürgerinnen und Bürger, sich dem Monster entgegenzustellen und es an der Stadtgrenze aufzuhalten. Die Stadtbewohner folgen dem Aufruf und errichten dort Barrikaden - wer indes fehlt, ist der Bürgermeister, der ihnen die dafür unentbehrlichen Abwehrwaffen vorenthält. Absehbare Konsequenz: Wie vorhergesagt macht Godzilla die Stadt dem Erdboden gleich.

Was leicht als Preview eines mittelmäßigen Katastrophenfilms durchgehen könnte, ist eine Metapher für die politische Wirklichkeit in Deutschland. Godzilla steht für die AfD. Und nicht erst seit dem Geheimtreffen in Potsdam wird klar, wie gefährlich diese Partei ist. Hans-Olaf Henkel, der ehemalige stellvertretende Sprecher der Partei, kommt im Nachhinein zur bitteren Einsicht: "Es macht mir Kummer, dass ich mitgeholfen habe, ein richtiges Monster zu erschaffen." [1] Die Analogie "AfD = Monster" ist also keineswegs auf meinem Mist gewachsen.

Die Mitte der Gesellschaft, die schweigende Mehrheit in diesem Land, müsse endlich aufwachen und klar Position gegen den Extremismus beziehen, fordert Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang. [2] Die Mitte der Gesellschaft darf nicht weiter wegsehen, meint auch SPD-Chef Lars Klingbeil: "Ich wünsche mir vor allem, dass sie aufstehen, dass sie laut sind." [3] Bundeskanzler Olaf Scholz verlangt: Demokratinnen und Demokraten müssten zusammenstehen. "Dass wir aus der Geschichte lernen, das ist kein bloßes Lippenbekenntnis." [4] Leider droht genau das: Dass das Ganze bloß auf Lippenbekenntnisse hinausläuft.

Aufwachen? Lernen? Zusammenstehen? Position beziehen? Wie die aktuellen Demonstrationen gegen Rechts belegen, u.a. die in Köln, wächst der Widerstand gegen die AfD. Die Mitte der Gesellschaft bezieht durchaus Position, beispielsweise mit der Petition "Wehrhafte Demokratie: Höcke stoppen!", die bislang schon 1.246.825 Menschen unterzeichnet haben (Stand: 17.01.2024, 15:50 Uhr). Doch die Politiker reagieren wie so oft: ängstlich und lethargisch. Wie der eingangs erwähnte Bürgermeister glänzen sie nun, da die Bürgerinnen und Bürger an den Barrikaden bereitstehen, durch Abwesenheit. Den Antrag, Björn Höcke gemäß Artikel 18 Grundgesetz das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zu entziehen, können nur der Bundestag, die Bundesregierung oder eine Landesregierung stellen. Bei einem Parteiverbot gemäß Artikel 21 Abs. 2 Grundgesetz sind es der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung. Tun sie das? Bislang nicht! Die Verzagtheit bei der Verteidigung der Demokratie ist mit den Händen zu greifen. Argh!

Die Bürgerinnen und Bürger, die gegen die Rechtsextremisten demonstrieren, können gar nichts anderes machen, als an die Politik zu appellieren und Petitionen zu unterschreiben. Es ist die Politik, die endlich in die Gänge kommen muss, denn die Waffen der wehrhaften Demokratie liegen - siehe oben - allein in ihrer Hand. Mit eher allgemein gehaltenen und faktisch folgenlosen Sätzen à la Olaf Scholz (wer sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richte, sei "ein Fall für unseren Verfassungsschutz") ist Godzilla nämlich nicht aufzuhalten. Man muss ihn vor Erreichen der Stadtgrenze attackieren und darf nicht riskieren, dass er die Stadt von innen heraus in Schutt und Asche legt. Der wie erstarrt wirkende Kanzler macht allerdings nicht den Eindruck, als habe er das begriffen.

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[1] Handelsblatt vom 08.11.2015
[2] tagesschau.de vom 11.01.2024
[3] Die Zeit-Online vom 14.01.2024
[4] RND vom 11.01.2024