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28. Januar 2024, von Michael Schöfer
Wir sind das Volk!


Mit diesem Spruch geht die AfD ja gerne landauf, landab hausieren, um ihren Machtanspruch zu legitimieren. Doch in einer pluralistischen Gesellschaft kann niemand von sich behaupten, für das ganze Volk zu sprechen. Keiner hat einen Alleinvertretungsanspruch, so oft er es auch behaupten mag. Und die zahlreichen Demonstrationen der letzten Tage belegen, dass die AfD offenbar nur den kleineren Teil des Volkes hinter sich hat. Die Mehrheit steht für die Demokratie und unterstützt keine illegalen Massendeportationsphantasien, solche Maßnahmen wären nur durch die vorherige Abschaffung des Rechtsstaats möglich. Würden Hunderttausende für die AfD demonstrieren? Wohl kaum. Allerdings darf es dabei nicht bleiben, es fehlt noch etwas:

Erstens muss jetzt ernsthaft das Verbot dieser gefährlichen Partei geprüft und ggf. auch beantragt werden. Das ist nicht undemokratisch, schließlich ist innerhalb des demokratischen Spektrums weiterhin eine große Bandbreite an politischen Zielen zulässig. Man kann zum Beispiel durchaus für oder gegen die aktuelle Asylpolitik sein, darf dabei aber niemals die Menschenrechte negieren und die Grundrechte außer Kraft setzen. Wer die Demokratie abschaffen möchte, hat keinen Anspruch auf Toleranz. Wer das Fundament der Demokratie verlässt, stellt sich dadurch selbst ins Abseits.

Zweitens müssen die Wählerinnen und Wähler der AfD auch an der Wahlurne eine deutliche Absage erteilen. Es hilft wenig, wenn man auf der Straße demonstriert, aber nicht zugleich bei Wahlen die Feinde der Demokratie in die Schranken weist. Spätestens seit dem Geheimtreffen in Potsdam sollte jeder wissen, welche Gefahr uns droht. Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer hat vollkommen recht: "So hat es ja damals auch angefangen." [1] Damit ist mit Blick auf die AfD eigentlich schon alles gesagt.

Drittens muss die Politik jetzt endlich die Probleme der Menschen anpacken, etwa die horrenden Mietpreissteigerungen und den eklatanten Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Absichtserklärungen reichen nicht mehr, was fehlt sind Taten. Dabei ist es unvermeidlich, in vorhandene Besitzstände einzugreifen, um mehr Gerechtigkeit herzustellen. Man darf die Menschen mit ihren wirtschaftlichen Nöten nicht im Regen stehen lassen, denn das führt über kurz oder lang zu einer Radikalisierung und letztlich zur Abwendung von der Demokratie. "Rund 1,5 Millionen Mieterhaushalte wiesen 2022 eine Mietbelastung von 50 % oder mehr auf. Etwa 1,6 Millionen weitere Mieterhaushalte wendeten für die Bruttokaltmiete zwischen 40 % und 50 % ihres Haushaltseinkommens auf." [2] Wer umziehen muss, sich das jedoch kaum leisten kann und deshalb extrem schwer eine andere Bleibe findet, dem ist die Demokratie vielleicht irgendwann egal.

Quelle: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2023

Um es mit Max Weber zu formulieren: Es muss für die Menschen zweckrational sein, die Demokratie zu unterstützen. Das heißt, sie muss ihnen Vorteile bringen, doch genau das scheint immer weniger der Fall zu sein. Was machen die etablierten Parteien? Sie diskutieren und streiten seit vielen Jahren, ohne dass sich an der Misere etwas ändert. Im Gegenteil, die Situation wird von Jahr zu Jahr schlimmer, der Ruf nach Hilfe prallt seit langem auf eine Gummiwand aus Ignoranz und Lethargie. Ein guter Nährboden für Populisten. Allein mit dem Aufruf, den Feinden der Demokratie bei Wahlen keine Stimme zu schenken, ist es also nicht getan.




27. Januar 2024: Mannheim demonstriert für die Demokratie

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[1] tagesschau.de vom 26.01.2024
[2] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 129 vom 31. März 2023