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19. Februar 2024, von Michael Schöfer
Arroganz hilft kaum weiter


Es gibt in der Berliner Ampelregierung mindestens zwei unterschiedliche Wahrnehmungsebenen: Die Grünen sind der Ansicht, bislang habe sich in der Regierung überproportional die FDP (mit 11,4 % der kleinste Koalitionspartner) durchgesetzt. Die FDP wiederum lässt häufig ihre tiefverwurzelte Abneigung gegen die Grünen aufblitzen, das ist vor allem bei FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai spürbar. Es dürfe äußerst selten vorkommen, dass eine Regierungspartei ihren Koalitionspartner als "Sicherheitsrisiko" bezeichnet. Djir-Sarai hat es getan. [1] Warum er trotzdem weiter mit dem "Sicherheitsrisiko" regiert, bleibt sein wohlgehütetes Geheimnis.

Nun plädiert er mit schier unglaublicher Arroganz für eine bürgerliche Koalition aus CDU, CSU und FDP, da müsse er "nicht jedes Mal die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft erklären". [2] Im Privatbereich nahezu undenkbar. Wenn Noah nach gut zwei Jahren Ehe ankündigt, er wäre doch lieber mit Sophia als mit Hannah verheiratet, reiben sich die Scheidungsanwälte die Hände, weil der Rosenkrieg unausweichlich erscheint. Und war da nicht was? Genau: In der letzten schwarz-gelben Koalition (2009-2013) fielen die Regierungsparteien mit so charmanten Begriffen wie "Gurkentruppe" und "Wildsau" übereinander her, offenbar haben damals die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft auch nicht weitergeholfen. Die Quittung: Die FDP flog anschließend mit 4,8 Prozent aus dem Parlament.

Djir-Sarais Äußerungen klingen nach Panik. Nicht ohne Grund: In der aktuellen Umfrage von INSA zur Europawahl am 9. Juni kommen die Liberalen auf gerade einmal 3 Prozent. Und im September droht der FDP bei der Landtagswahl in Thüringen das parlamentarische Aus, in Brandenburg und Sachsen sind sie schon seit 2014 draußen. Rückenwind für die Bundestagswahl im Herbst 2025 sieht anders aus. Bis dahin kann zwar noch viel passieren, aber nach derzeitigem Stand würde die FDP erneut an der 5-Prozent-Hürde scheitern. Christian Lindners Partei droht in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen. Trotzdem: Das Grünen-Bashing wird den Liberalen kaum helfen. Und die herablassende Art ebenso wenig. Djir-Sarai muss zwar den Grünen angeblich immer die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft erklären, leidet aber selbst unter einer eklatanten Rechenschwäche. Bei der aktuellen Sonntagsfrage hat nämlich Schwarz-Gelb keine parlamentarische Mehrheit. Selbst wenn die FDP mit 5 Prozent knapp den Einzug schaffen würde, kommt die "bürgerliche Koalition" momentan gemeinsam auf ungefähr 35 oder 36 Prozent - viel zu wenig, von der Kanzlermehrheit (der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages gemäß Grundgesetz Artikel 63 Abs. 2 und 3) wäre sie meilenweit entfernt.

Einen Koalitionsbruch und Neuwahlen dürften die Liberalen deshalb kaum riskieren, doch sich in diesem Stil bis 2025 irgendwie durchzuwursteln, ist ebenfalls wenig erfolgversprechend. Im Gegenteil, es könnte auf diese Art und Weise noch weiter abwärts gehen. Die FDP hat sich in eine veritable Sackgasse hineinmanövriert, es hat ihr offenkundig überhaupt nichts genützt, die Grünen fortwährend madig zu machen und die Regierung ständig mit Blockaden (etwa im Mietrecht oder bei Abstimmungen in Brüssel) zu lähmen. Vom ursprünglich als "Fortschrittskoalition" bezeichneten Bündnis ist weit und breit nichts zu sehen. Dadurch verlieren vor allem SPD und FDP an Wählerzuspruch, während die Grünen laut Umfragen ihr Bundestagswahlergebnis von 2019 in etwa halten könnten. Was obendrein bei einer schwarz-gelben Koalition oder einer Deutschlandkoalition (Union, SPD, FDP), falls sie überhaupt eine regierungsfähige Mehrheit bekäme, anders wäre, ist schleierhaft. Dank der Schuldenbremse werden alle künftigen Regierungen große Haushaltsprobleme haben, für Investitionen in Wirtschaft, Infrastruktur, Umwelt und Bundeswehr ist der Spielraum denkbar gering - vollkommen egal, wer die Regierung stellt und wie der nächste Bundeskanzler heißt.

Mein Mitleid mit der FDP hält sich allerdings in Grenzen, ihr Umfragetief und das ihrer Koalitionspartner hat sie durch ungeschicktes Taktieren zu einem Gutteil selbst verursacht. Wenig tröstlich: Da im nächsten Bundestag nach aktuellem Stand kein Lager über eine parlamentarische Mehrheit verfügt, wird die nächste Legislaturperiode wahrscheinlich noch schwieriger als die jetzige.

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[1] Tagesspiegel vom 24.09.2023
[2] Spiegel-Online vom 18.02.2024