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22. Februar 2024, von Michael Schöfer
Unfassbar dämlich


"Union blockiert Pläne zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts", schreibt die Süddeutsche. "Wichtige Regeln zum Schutz des Gerichts sollten ins Grundgesetz geschrieben werden, für den Fall, dass der Aufstieg von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten sich fortsetzen sollte. Dafür hätte es eine Zwei-Drittel-Mehrheit gebraucht. Nun haben CDU und CSU ihre Kooperation abgesagt." [1] In Polen hat man ja gesehen, wie leicht es einer von Rechtspopulisten dominierten Regierung gelingt, die Justiz zu manipulieren und dadurch die Gewaltenteilung faktisch abzuschaffen. Solche Warnungen in den Wind zu schlagen, ist unfassbar dämlich. Und zudem ein Schlag ins Gesicht von Hunderttausenden, die in den letzten Wochen für die Demokratie auf die Straße gegangen sind.

Erwin Teufel (CDU), der frühere baden-württembergische Ministerpräsident, brachte sein Amtsverständnis einmal so zum Ausdruck: "Erst das Land, dann die Partei, dann die Person." Dass der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, ein bekennender Konservativer, den Schutz des Landes offenkundig hinter dem Parteiinteresse einordnet, ist erschreckend. Und obendrein furchtbar geschichtsvergessen. Die Konservativen haben bekanntlich in der Weimarer Republik versagt. "Mit der Völkischen Bewegung und den rechtsintellektuellen Vertretern der sogenannten 'Konservativen Revolution' bildete die DNVP ein antiliberales, republikfeindliches Milieu, das nicht nur den Boden für den Nationalsozialismus bereitete, sondern auch mehr und mehr im Austausch mit ihm stand. (…) Am Ende fielen auch die Konservativen der Zerstörung der Weimarer Republik zum Opfer, die sie selbst tatkräftig betrieben hatten." [2] Daraus wollte die CDU nach 1945 eigentlich ihre Lehren ziehen. Doch wenn Friedrich Merz bereit ist, entgegen dem Rat sachkundiger Juristen sein parteipolitisches Süppchen zu kochen, werden die Zweifel daran immer stärker. Begehen die Konservativen tatsächlich den gleichen Fehler wie in Weimar? Die Brandmauer scheint jedenfalls zu bröckeln, was sich als fatal erweisen könnte.

Doch im Nachhinein, wenn es schiefgegangen ist, will es erfahrungsgemäß keiner gewesen sein. Dann waschen alle ihre Hände in Unschuld. Als hätte es Timur Vermes geahnt: Literarischer Brief an Friedrich Merz. Köstlich!

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[1] Süddeutsche vom 22.02.2024
[2] Konrad-Adenauer-Stiftung, Matthias Oppermann, Konservatismus