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10. März 2024, von Michael Schöfer
Der Verlust Europas hätte schwerwiegende Konsequenzen


In jedem Krieg gibt es Rückschläge und kritische Phasen, die Ukraine, und mit ihr der Westen, durchläuft gerade so eine. Die ukrainische Offensive zur Rückeroberung weiterer Gebiete ist krachend gescheitert, die Russen haben sogar neuerdings an manchen Stellen der Front Geländegewinne erzielt. Sollte den Russen der Durchbruch gelingen, ist eine Niederlage der Ukraine nicht mehr auszuschließen. Zumal es den Ukrainern, unter tätiger Mithilfe der westlichen Zauderer und Schaumschläger, an Munition und Waffen mangelt. Im Worst Case, dem schlimmsten Fall, stehen demnächst russische Truppen an der ungarischen Grenze. Und da Putin-Freund Viktor Orban eine notorische Schwachstelle ist, würden vielleicht auch die Österreicher, die es sich bislang hinter ihrer Neutralität allzu bequem gemacht haben, endlich aufwachen. Was Finnland und Schweden getan haben, der Nato beizutreten, wäre unter solchen Umständen für Österreich denkbar und nahezu unvermeidlich.

Es ist schon bemerkenswert, wenn der Präsidentschaftsbewerber der Republikanischen Partei die europäischen Verbündeten der russischen Willkür auszuliefern bereit ist. Man kann sich natürlich illusionslos auf den von de Gaulle geprägten Grundsatz internationaler Beziehungen zurückziehen: "Staaten haben keine Freunde, nur Interessen." Ob das freilich klug ist, steht auf einem anderen Blatt. Für Donald Trump sind ideelle Werte wie Demokratie und Rechtsstaat offenkundig zweitrangig, anscheinend sieht er alles bloß durch die finanzielle Brille. Der selbsternannte König der Dealmaker. Doch selbst wenn die Vereinigten Staaten sich ausschließlich auf ihre wirtschaftlichen Beziehungen zurückziehen würden, müssten sie den Europäern auch unter Trump weiter beistehen. Schon aus purem Eigeninteresse.

Die Europäische Union ist nämlich mit Abstand der wichtigste Handelspartner der Vereinigten Staaten. 2023 exportierten die USA Waren und Dienstleistungen im Wert von 632,9 Mrd. Dollar in die EU, die wiederum Waren und Dienstleistungen im Wert von 758 Mrd. Dollar nach dort exportierten. [1] Ein Handelsvolumen von gewaltigen 1,4 Billionen US-Dollar. Weit dahinter rangieren die NAFTA-Partner (North American Free Trade Agreement) Kanada und Mexiko, nicht einmal die Briten und die Chinesen können da mithalten. Putin wäre mit einem von seinem Willen abhängigen Europa in der Lage, die USA ökonomisch gehörig unter Druck zu setzen, und das würde die republikanische Wählerbasis schwer in Mitleidenschaft ziehen. Politisch mag Isolationismus realisierbar sein, wobei sich ein Amerika ohne europäische Verbündete gegen einen Block aus Russland und China langfristig kaum behaupten könnte. Ohne ökonomische Stärke steht die militärische Überlegenheit Washingtons auf tönernen Füßen, der Verlust Europas hätte für die USA ohne Zweifel schwerwiegende Konsequenzen.

Ob Donald Trump, sollte er wirklich ins Weiße Haus zurückkehren, rational handeln wird, ist zu bezweifeln, dazu war seine erste Amtszeit viel zu chaotisch und obendrein größtenteils erfolglos. Unwahrscheinlich, dass das in einer zweiten Amtszeit grundlegend anders wäre. Die amerikanischen Wählerinnen und Wähler wären also klug beraten, die Auswirkungen ihrer Stimmabgabe zu bedenken.

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[1] U.S. Bureau of Economic Analysis, U.S. International Trade in Goods and Services vom 07.03.2024, Seite 39, PDF-Datei mit 2,3 MB