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17. März 2024, von Michael Schöfer
Angst vor dem Wähler

Wenn die vermeintlich starken Männer wüssten, wie lächerlich sie wirken. Wladimir Putin zum Beispiel: Mit nacktem Oberkörper auf dem Pferd im sibirischen Nirgendwo, dabei hat die Memme schreckliche Angst vor dem Wähler. Die ehemalige Fernsehjournalistin Jekaterina Dunzowa? Durfte nicht antreten, von der Wahlkommission abgelehnt! Kriegsgegner Boris Nadeschdin? Durfte nicht antreten, von der Wahlkommission abgelehnt! So traten bei dieser Scheinwahl folgerichtig nur noch von oben abgesegnete Scheinkandidaten gegen Russlands GröFaZ* an. Jedenfalls keine echten Oppositionellen, vor denen hat Putin nämlich panische Angst. Doch Obacht: Wer ihn mit solch despektierlichem Gerede herausfordert, macht schnell mit sibirischen Arbeitslagern, dem Nervenkampfstoff Nowitschok oder offenstehenden Fenstern Bekanntschaft. Spätestens seit der Ermordung von Alexei Nawalny wissen wir: Widerspruch in Putins Reich ist tödlich. Und das beileibe nicht nur in Russland, sondern auch im Westen, denn selbst dorthin schickt der skrupellose Kremlherrscher seine Schergen, um "Verräter" zu liquidieren. Oder die, die er dafür hält.

87 Prozent soll also Putin bei der Präsidentschaftswahl bekommen haben. (In der Sowjetunion galt übrigens alles unter 99,7 Prozent als schwere Schmach, doch das nur nebenbei.) Unter den o.g. Umständen würde sogar Olaf Scholz jede Bundestagswahl gewinnen, was das russische Wahlergebnis gehörig relativiert. Das geneigte Publikum fragt sich unwillkürlich: Was soll das? Putin weiß, dass er nur durch Manipulation auf 87 Prozent gekommen ist. Die Russen wissen ebenfalls, dass Putin nur durch Manipulation gewonnen hat. Und Putin weiß, dass es alle anderen wissen. Genauso wie alle wissen, dass es Putin weiß. Jeder weiß darüber Bescheid, doch keiner darf sich trauen, das Offenkundige auch zu sagen. Zumindest jeder, dem Leib und Leben lieb ist. Alle müssen gezwungenermaßen bei dieser Farce mitspielen. Ganz so, als sei Wladimir Putin tatsächlich ein starker Mann und kein schäbiger Halunke. Nicht einmal Kinder dürfen darauf hinweisen, dass der Kaiser gar keine Kleider anhat. Den Vätern der Kinder drohen mindestens zwei Jahre Gefängnis.

Worauf ist Putin stolz? Er ist sich bewusst, dass er unter normalen, d.h. demokratischen Verhältnissen vermutlich verloren hätte. Andernfalls hätte er ja nicht zu manipulieren brauchen. Putin ist daher in Wahrheit ein Loser, der sich lediglich großspurig als Winner feiern lässt. Sein einziges Argument ist der Machtapparat. Doch wenn der Showmaker weiß, dass alles bloß Show ist, kann er tief im Innern auf nichts wirklich stolz sein. So wie ein dopender Sportler weiß, dass er ohne Doping nicht als Erster über die Ziellinie gelaufen wäre. Von der Siegesfeier bleibt stets ein bitterer Nachgeschmack zurück. Standing Ovations für den großen Wahlsieger! 87 Prozent! Wow! Was für ein toller Hecht! Oder doch bloß ein aufgeblasener Schaumschläger? Und worauf ist Russland stolz? Darauf, dass niemand freiwillig dorthin zieht? Unglaublich, der "dekadente Westen" ist für Flüchtlinge wesentlich attraktiver! Russland kann wahrlich stolz darauf sein, dass zwar viele Angst vor ihm haben, das Land aber von allen für die in der Ukraine begangenen Kriegsverbrechen verachtet wird. Tolle Leistung! Gratuliere! Wladimir dem Schrecklichen sei Dank.

*größter Feldherr aller Zeiten