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14. April 2024, von Michael Schöfer
Sprücheklopfer


Politik besteht zu einem Gutteil aus Schaumschlägerei. So tun als ob und dabei groß die Backen aufblasen, was aber in Wahrheit meist mit wenig Substanz unterfüttert ist. Beispiel Ukraine-Krieg: Spätestens im Herbst 2021 wurde klar, dass Wladimir Putin mit seinem Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze Böses im Schilde führen könnte. Ausdrücklich "könnte", denn gewiss war das bis zum Schluss nicht. Klug wäre jedoch gewesen, sich für den Fall der Fälle vorzubereiten und wenigstens Pläne zu entwickeln, die man spätestens bei Kriegsbeginn aus den Schubladen hätte holen können. Heute muss man fassungslos zur Kenntnis nehmen, dass es offenbar überhaupt keine Pläne gab. Wird schon nicht so schlimm kommen, dachte wohl die Regierung. Fahrlässigkeit? Wunschdenken? Naivität?

Der Ukraine geht nun im dritten Kriegsjahr langsam die Munition aus, was gut vorbereitete Verbündete verhindert hätten. Haben sie aber nicht. Weil sie, abgesehen von den Vereinigten Staaten, anscheinend nicht gut vorbereitet waren. Im Februar fand in Anwesenheit des Bundeskanzlers die Grundsteinlegung einer neuen Munitionsfabrik des Rüstungskonzerns Rheinmetall statt. Im Februar 2024 wohlgemerkt, zwei Jahre nach Beginn der russischen Invasion! Und sie wird zwar nach Fertigstellung jährlich 200.000 Schuss Artilleriemunition liefern können, aber eben erst ab dem Jahr 2025. Hoffen wir, dass die Ukraine bis dahin noch existiert. Es bleibt das Geheimnis der Regierenden, warum mit dem Bau der Munitionsfabrik nicht bereits 2022 begonnen wurde.

Diese phlegmatische Herangehensweise ist charakteristisch für die deutsche Politik, wir präsentieren uns allzu oft als schlecht beraten, unvorbereitet, zaudernd, ängstlich und inkonsequent. Und nebenbei auch ein bisschen unaufrichtig: Deutschland sei nach den USA weltweit der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine, stellt Olaf Scholz ständig ungefragt in den Vordergrund. In absoluten Zahlen stimmt das sogar. [1] Wenn man allerdings die Unterstützung der Ukraine nach dem Anteil am Bruttoinlandsprodukt berechnet, stehen wir nur auf dem zehnten Platz. [2] Gekrönt wird das Ganze vom ewig grinsenden Kanzler, der erklärtermaßen stets "sehr, sehr zuversichtlich" ist. Auf viele wirkt er freilich so kryptisch und undurchschaubar wie das Orakel von Delphi. Da genügt es dann auch nicht, mit den immer gleichen Phrasen Unterstützung zu signalisieren: Die Ukraine dürfe nicht verlieren, und wir würden ihr so lange helfen wie nötig. Gähn!

Ein anderes Beispiel: Seit der Rede von Angela Merkel vor der Knesset im Jahr 2008 tragen es hierzulande fast alle Politiker wie eine Monstranz vor sich her: Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson. Doch wenn man genau hinschaut, ist das lediglich Maulheldentum. Außer abgedroschenen Solidaritätsbekundungen ist im Ernstfall nämlich nichts zu sehen, was in der vergangenen Nacht schlagend bewiesen wurde. Israel hat den iranischen Angriff Presseberichten zufolge mit militärischer Unterstützung der USA abgewehrt. Ebenfalls aktiv daran beteiligt: Großbritannien, Frankreich, Jordanien. Und Deutschland? Olaf Scholz sei von dem Angriff auf dem Hinflug nach China "überrascht" worden, meldet das RedaktionsNetzwerk Deutschland. [3] "In diesen schweren Stunden steht Deutschland eng an der Seite Israels", erklärt Regierungssprecher Steffen Hebestreit. [4] Na ja, wenigstens das.

Während andere Verbündete Israels auf den Angriff gut vorbereitet waren und rechtzeitig eingegriffen haben, wurde Deutschland also angeblich überrascht. Von der aktiven Beteiligung der Bundeswehr an der Abwehr von iranischen Drohnen und Marschflugkörpern liest man jedenfalls kein Wort. Israels Sicherheit als deutsche Staatsräson? Deutschland hat nie definiert, was es darunter konkret versteht. Aber Staatsräson hört sich zumindest gut an. Wenn wir schon bloß mit Worten Solidarität zeigen, dann aber doch bestimmt auch ökonomisch. Das mindeste, was wir zu tun bereit sind. Oder etwa nicht? Stattdessen lesen wir: "Deutschland ist nach wie vor Irans wichtigster Handelspartner in Europa." [5] 2022 war Deutschland der sechstgrößte Lieferant des Iran. [6] 2023 betrug unser Handelsvolumen mit dem Mullah-Regime immerhin 1,44 Mrd. Euro. [7] Zur Staatsräson gehört also noch nicht einmal, den Handel mit dem Iran ganz zu kappen.

Genau dieses Bild vermittelt Deutschland: Wir blasen gerne die Backen auf, aber wenn es ans Liefern geht, entpuppen wir uns oft genug als Sprücheklopfer.

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[1] ifw Kiel, Ukraine Support Tracker
[2] ifw Kiel, Ukraine Support Tracker
[3] RND vom 14.04.2024
[4] tagesschau.de vom 14.04.2024
[5] tagesschau.de vom 10.01.2023
[6] Statista, Iran: Wichtigste Importländer im Jahr 2022
[7] Statistisches Bundesamt, Außenhandel, Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland, PDF-Datei mit 104 KB